Gütesiegel statt Sargnagel
Kommentar zur EZB-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
21. Jun. 2016 –
Die Bombe nicht explodieren lassen – für diese Option hat sich das Bundesverfassungsgericht entschieden. Das oberste deutsche Gericht winkte am Dienstag das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) durch - mit gewissen Einschränkungen. Insgesamt stehe das Programm nicht im Widerspruch zum Grundgesetz, lautet das Karlsruher Urteil. Europa kann aufatmen.
Dies ist der Schlusspunkt eines juristischen Verfahrens von großer Tragweite. Die Kläger hatten argumentiert, mit der Ankündigung von 2012, die Eurokrise notfalls durch den Kauf von Staatsanleihen einzudämmen, habe EZB-Präsident Mario Draghi seine Kompetenzen überschritten und die Rechte des Bundestages verletzt. Die Zurückweisung dieser Position beinhaltet jedoch auch eine politische Entscheidung. Sicher überlegten die Richter: Was passiert praktisch, wenn wir gegen die EZB urteilen?
Gut möglich, dass das zu einem großen Durcheinander führen würde. Dann stünde das Bundesverfassungsgericht gegen den Europäischen Gerichtshof, der der Zentralbank schon früher Rückendeckung gegeben hatte. Ein Verfassungskonflikt wäre das Ergebnis, verbunden mit einer gegenseitigen Blockade. Gemeinsame Politik in Europa wäre noch schwieriger als heute.
Auch eine neue Wirtschaftskrise könnte das Ergebnis sein. Die Jagd der Finanzinvestoren auf schwache Regierungen in Euroland begänne erneut. Wahrscheinliche Folgen: höhere Zinsen für Staatsanleihen, steigende Staatsverschuldung, neue Rettungsprogramme und explodierende Kosten auch für Deutschland.
Gut, dass das Verfassungsgericht beigedreht ist. Es hat der EZB keinen Sargnagel verpasst, sondern ein Gütesiegel verliehen. Und es hat insgesamt für Europa geurteilt. Viele derjenigen aber, die diesen Spruch kritisieren, geben damit zu Protokoll, dass sie eigentlich gegen Europa sind. Zum Beispiel Sarah Wagenknecht von der Linken. Sie begrüßte nicht die stabilisierende Wirkung des Urteils, sondern bemängelte, dass die EZB-Anleihekäufe und die dadurch verursachten niedrigen Zinsen die deutschen Sparer schädigten. Mit dieser Argumentation kann Wagenknecht in die AfD eintreten. Von links nach rechts schließt sich so der Kreis der Euro-Gegner.