Gute Arbeit als Mehrheitsmodell
Die Zahl der unbefristeten Vollzeitstellen steigt stark an. Konjunktur und Globalisierung als Ursachen
30. Jul. 2012 –
Deutschland – ein Land der ausgebeuteten, rechtlosen Arbeitskräfte. Es wächst die Zahl der Zeitarbeiter, der schlecht bezahlten Minijobber, derjenigen, die sich von ihrer Arbeit kaum noch ernähren können. Oft entsteht der Eindruck, die soziale Frage stelle sich heutzutage wieder so krass, wie während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dieses Bild allerdings ist schief.
Das zeigen aktuelle Zahlen über den Arbeitsmarkt, die das Bundesamt für Statistik am Montag veröffentlichte. Demnach leben zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland in ziemlicher Sicherheit. 23,7 Millionen von insgesamt 35,8 Millionen Erwerbstätigen haben einen Normalarbeitsplatz.
Darunter verstehen die Experten Stellen, die unbefristet sind, mindestens 21 Stunden pro Woche beinhalten und der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen. Wer eine solche Tätigkeit ausübt, kommt finanziell in der Regel einigermaßen über die Runden und muss sich relativ wenig Sorgen über Krankheit, Arbeitslosigkeit und Altersversorgung machen. Zwei Drittel der Arbeitnehmer in Deutschland nehmen also am Wohlstand teil – mal mehr, mal weniger. Die Mittelstandsgesellschaft ist noch immer das Mehrheitsmodell. Ihren Untergang zu prophezeien, ist zumindest waghalsig.
Und die Statistik enthält eine weitere positive Nachricht. Die Zahl der Menschen, die in Normalarbeitsverhältnissen stehen, nahm unlängst deutlich zu – in 2011 gegenüber 2010 um rund 610.000 Personen. Die Menge der atypischen Jobs (zum Beispiel geringfügige Beschäftigung, Teilzeit unter 21 Stunden, Zeitarbeit) stieg zwar auch um 80.000. Ihr Anteil an der gesamten Beschäftigung ging allerdings zurück.
Damit haben wir es seit 2006 mit einer Trendumkehr zu tun. Bis dahin wuchs der irreguläre Bereich auf Kosten der normalen Jobs. Seitdem aber hat sich die Lage stabilisiert. Ein Grund dürfte sein, dass Deutschland seine Löhne und Arbeitskosten in den 2000er Jahren kaum steigen ließ. Dadurch sind viele qualitativ gute Produkte auf den Weltmärkten heute sehr konkurrenzfähig. Deutsche Unternehmen stellen Leute ein, um die hohe Nachfrage zu befriedigen.
„Zudem wirkt die neue Arbeitsteilung der Globalisierung“, sagt Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Unternehmen tendieren dazu, einfache Arbeitsplätze in Schwellen- und Entwicklungsländer auszulagern, Tätigkeiten mit hohem Qualifikationsniveau dagegen in den Industrieländern zu konzentrieren. Beispiel: VW produziert Autos in China, lässt sie aber vornehmlich von Ingenieuren in Deutschland entwickeln. Solchen gut ausgebildeten Fachkräften bieten die Firmen auch gute Arbeitsbedingungen.
Diese erfreuliche Entwicklung ändert allerdings nichts daran, dass das Normalarbeitsverhältnis seit der Wiedervereinigung stark unter Druck geraten ist. Die Zahl der regulären Stellen liegt heute weit unter dem Niveau von 1991. Damals betrug sie fast 27 Millionen Arbeitsplätze – über drei Millionen mehr als jetzt.
Unter anderem die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung haben dazu beigetragen, das Mehrheitsmodell auszuhöhlen und einen konkurrierenden Niedriglohnsektor zu schaffen. Millionen Beschäftigte arbeiten heute für Gehälter, die sie mitunter kaum ernähren. Wer mit Vollzeitarbeit nur 800 Euro monatlich nach Hause bringt, muss für seine Familie nicht selten einen Zuschuss bei der Arbeitsagentur beantragen. Die Befürworter bei Union, FDP und Wirtschaftsverbänden sagen: Besser ein Job mit wenig Geld, als jahrelang Hartz IV. Die Gegner in Gewerkschaften, SPD und Linkspartei argumentieren, Minijobs, Zeitarbeit und Niedriglöhne gefährdeten die Menschenwürde und den sozialen Frieden.
Wie aber stehen die Chancen, dass die soziale Stabilität auf dem Arbeitsmarkt künftig mehrheitlich erhalten bleibt? Einerseits wächst der Dienstleistungssektor, und mit ihm die Zahl der Stellen, die schlecht bezahlt werden und weniger Sicherheit bieten. Dagegen wirkt jedoch ein anderer Mechanismus: der demografische Wandel. Weil weniger junge Beschäftigte nachwachsen, rechnen Experten für die kommenden Jahrzehnte mit niedriger Erwerbslosigkeit und einem Mangel an Fachkräften. Dies aber sind die besten Voraussetzungen dafür, dass die Firmen den Arbeitnehmern gute Angebote machen. Sie soziale Sicherheit des Normalarbeitsverhältnisses steht dabei ganz oben.