Hungerlohn-Klage gegen Lidl

Die Discountkette Lidl wirbt offensiv damit, dass die Arbeiter ihrer Zulieferbetriebe in der 3. Welt vernünftige Löhne bekommen und gute Arbeitsbedingungen genießen. Weil diese Botschaft nicht der Wahrheit entspreche, haben Verbraucherschützer und Bürgerr

Teilen!

Von Hannes Koch

08. Apr. 2010 –

Die deutsche Mittelstandsfamilie schaut wohlgelaunt und gutaussehend in die Kamera. Auf der Internetseite von Lidl bezeugen Oma, Opa, Mutter, Vater und zwei Kinder mit ihrem Lachen, dass die Werbebotschaft der Discountkette stimmt. „Lidl setzt sich für sozialverträgliche Arbeitsbedingungen ein“, ist dort zu lesen.


Das Versprechen des Unternehmens gilt auch für die Arbeiterinnen und Arbeiter, die in Bangladesh T-Shirts, Hosen, Jacken und Unterwäsche für Lidl herstellen. „Vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern“ will man nach eigenem Bekunden „einen Beitrag zur Verbesserung der Bedingungen in der weltweiten Lieferkette“ leisten. Lidl bekennt sich zu einem Verhaltenskodex, der unter anderem auf den Grundsätzen der Vereinten Nationen beruht. Überlange Arbeitszeiten, Hungerlöhne und Kinderarbeit sind darin verboten.


Was aber passiert wirklich in den Fabriken in Bangladesh, die für Lidl arbeiten? Kontrolleure im Auftrag von Menschenrechtsorganisationen besuchten drei Textilfirmen im Umkreis der Hauptstadt Dhaka. Was sie herausfanden, lässt die wohlklingenden Werbesprüche von Lidl in einem anderen Licht erscheinen. Die befragten Arbeiter berichteten, dass beispielsweise die Arbeitszeit oft viel länger und die Löhne geringer seien als erlaubt.


Auf der Basis dieser Untersuchung hat die Verbraucherzentrale Hamburg, unterstützt vom European Center for Constitutional and Human Rights und der Kampagne für Saubere Kleidung, eine Klage gegen Lidl beim Landgericht Heilbronn eingereicht. In der Klageschrift heißt es, die Werbung der Handelskette sei „im höchsten Maße unlauter“. Sie „suggeriert den Verbrauchern, dass Mindeststandards in den Zulieferbetrieben tatsächlich eingehalten werden. Dies ist nicht der Fall.“ Das Gericht solle dem Unternehmen deshalb untersagen, seine Werbung weiter zu veröffentlichen.


Es ist die erste Klage dieser Art in Deutschland. Juristisch ist es sehr kompliziert, hiesige Unternehmen für die Arbeitsbedingungen in anderen Teilen der Welt haftbar zu machen.


Die Kontrolleure haben bei ihren Fabrikbesuchen unter anderem festgestellt, dass die Näher und Näherinnen weitaus länger arbeiten, als die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gestatten. Nach sechs Arbeitstagen muss eigentlich ein freier Tag folgen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, würde diese Regel nicht eingehalten. Sieben Tage Arbeit pro Woche seien normal.


Außerdem betrage die Arbeitszeit bei den Lidl-Zulieferern pro Woche bis zu 80 Stunden, argumentieren die Kritiker. Erlaubt sind dagegen maximal 48 Stunden. Zusätzlich sehen die internationalen Standards höchstens zwölf freiwillige Überstunden wöchentlich vor. Auch diese Grenze werde in den Textilfabriken häufig überschritten. Die Arbeiterinnen würden zudem oft zu den Überstunden gezwungen – von Freiwilligkeit könne keine Rede sein.


Auch beim Lohn seien Verstöße gegen die internationalen Standards an der Tagesordnung. So würde den Arbeiterinnen oft ein Teil des Lohnes zur Strafe für scheinbare oder tatsächliche Vergehen abgezogen. Dieses Verfahren ist laut ILO-Konventionen ebenfalls nicht gestattet. Besonders über eine der drei Zulieferfirmen schreiben die Kritiker: „Der Lohn reicht nicht aus, um eine durchschnittliche Familie zu ernähren. So berichtet etwa ein Arbeiter, dass seine Kinder abends ohne Essen schlafen gehen müssen.“


Die Arbeiterinnen erhalten im Monat beispielsweise 2.700 Taka, der Währung von Bangladesh. Das entspricht 27 Euro. Umgerechnet auf eine Arbeitszeit von 60 Stunden pro Woche ergibt dies einen Stundenlohn von elf Euro-Cent. Unter anderem derart geringe Löhne machen es möglich, dass Lidl in seinen deutschen Filialen Kleidungsstücke zu Minipreisen anbieten kann. So findet man in den Läden Herrenhemden für 3,99 Euro und Hosen für 5,99 Euro.


Damit ist die Liste der kritisierten Missstände bei den Zulieferern aber nicht zu Ende. Die Verbraucherschützer und Menschenrechtler werfen Lidl vor, dass die Arbeiter entgegen internationalen Standards keine Möglichkeiten hätten, sich einer Gewerkschaft anzuschließen und mit ihrer Firma kollektiv über den Lohn zu verhandeln. Stattdessen gehörten Beleidigungen, Schläge und andere Diskriminierungen zum Alltag. „In den Produktionsstätten herrscht eine allgemeine Atmosphäre der Unterdrückung und Erniedrigung“, heißt es in der Klageschrift. So würden Frauen gezwungen, ihren Job aufzugeben, wenn sie schwanger seien. Dadurch sparten die Zulieferer Kosten.


Lidl-Sprecherin Petra Trabert äußerte sich nicht zu den konkreten Vorwürfen. Sie erklärte, dass das Handelsunternehmen in der Vergangenheit Berichten über verschiedene Missstände nachgegangen sei. Die Zulieferfirmen hätten dann „Verbesserungen umgesetzt“. Zur aktuellen Kritik durch die Verbraucherzentrale könne man erst Stellung nehmen, wenn weitere Kontrollen in Bangladesh stattgefunden hätten. „In diesem Rahmen werden wir die von der Verbraucherzentrale angesprochenen Punkte eingehend überprüfen lassen“, so Trabert.


Der Ruf des Unternehmens Lidl hat in den vergangenen Jahren gelitten. Medien berichteten darüber, wie der Einzelhändler seine Beschäftigten in Deutschland ausspionierte. Gewerkschaften kritisierten, dass Lidl kaum Betriebsräte in seinen Filialen dulde. Um sein Image aufzumöbeln, ist das Unternehmen vor geraumer Zeit in die Offensive gegangen. Mittlerweile findet man einige fair gehandelte Waren in den Regalen, ein Anwalt nimmt sich der Beschwerden von Beschäftigten an, und der Chef des Aufsichtsrates schlug unlängst vor, einen Mindestlohn für den Einzelhandel zu vereinbaren.


Um zu belegen, dass sein Engagement für bessere Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern in der 3. Welt ernst gemeint sei, weist Lidl auf seine Mitgliedschaft im „Europäischen Programm für Sozialstandards“ (BSCI) hin. Diesem gehören hunderte Textil- und Handelsunternehmen an, beispielsweise auch Metro und Otto. Ihr gemeinsames Ziel ist es, minimale Sozial- und Ökostandards in den weltweiten Zulieferketten durchzusetzen, unter anderem das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit.


Mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), einer bundeseigenen Entwicklungsorganisation, betreibt Lidl außerdem ein Kooperationsprojekt in Bangladesh. Der Discounter hat die GTZ beauftragt, die Arbeitsbedingungen in 73 Zulieferfirmen zu verbessern. Darunter sind auch mindestens zwei der drei Firmen, wegen derer die Verbraucherzentrale jetzt klagt.


„Lidl hat ein Interesse daran, die Schwächen abzustellen“, sagt GTZ-Sprecher Hans Stehling. „Wenn schon alles in Ordnung wäre, müsste die GTZ nichts tun“. Außerdem, so Stehling, könne man nicht jedes Problem dem Unternehmen anlasten. So müssten und wollten die Näherinnen in den Zulieferbetrieben erfahrungsgemäß möglichst viele Überstunden ableisten, um mehr Geld für ihre Familien nach Hause zu bringen..


www.vzhh.de

www.ecchr.org

www.saubere-kleidung.de

www.lidl.de/cps/rde/xchg/lidl_de/hs.xsl/6432.htm

« Zurück | Nachrichten »