Illiberale Melange

Autoindustrie, CDU, FDP und AfD attackieren zivilgesellschaftliche Organisationen wie Attac, Umwelthilfe, Nabu und Campact.

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Von Hannes Koch

14. Jun. 2019 –

Sorgen wollte Finanzstaatssekretär Rolf Bösinger seinen Besuchern nehmen. Mitte April empfing er Vertreter unter anderem der Kampagnenorganisation Campact. Die befürchtet, dass der Staat ihr den Geldhahn zudrehen will. Eine Angst, die nicht aus der Luft gegriffen ist: Unlängst verloren die Globalisierungskritiker*innen von Attac ihre Gemeinnützigkeit. Wer Geld an Attac spendet, kann die Ausgabe nicht mehr von der Steuer absetzen.

Viele Bügerinitiativen, politische Gruppen und Umweltverbände fragen sich nun: Blüht uns dasselbe? Bösinger gab jedoch Entwarnung. Nach dem Treffen schrieb er an Campact: „Die Entscheidung des Bundesfinanzhofes Attac die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, ist ausdrücklich kein Anlass für die Finanzverwaltung, das politische Engagement als gemeinnützig anerkannter Organisationen in der Fläche zu überprüfen.“

Das Thema kannte man bisher eher aus Russland, Ägypten, Polen und Ungarn. Dort hat Ministerpräsident Victor Orban die „illiberale Demokratie“ propagiert, einen Pseudo-Rechtsstaat, der die politischen Grundrechte einschränkt, Kritik an der Regierung unterdrückt und gesellschaftlichen Fortschritt erschwert. Doch auch in Deutschland „verengt sich der politische Raum“, sagte Stefan Diefenbach-Trommer. Als Vorstand der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung“, in der sich über 100 Vereine, Stiftungen und Verbände zusammengeschlossen haben, nahm er an dem Gespräch im Finanzministerium teil. „Die Handlungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen werden eingeschränkt“, so Diefenbach-Trommer.

Diese Auffassung muss man nicht teilen. Schließlich demonstrieren zehntausende junge Leute regelmäßig für Klimaschutz und lassen dafür den Schulunterricht ausfallen. In Berlin werden Unterschriften für die Enteignung der größten Wohnungskonzerne gesammelt. Niemand kommt auf die Idee, solche Aktivitäten ernsthaft zu behindern.

Und trotzdem gibt es mehrere parallele Entwicklungen, durch die der Druck auf Nichtregierungsorganisationen (NGO) steigt. Da ist zunächst das Attac-Urteil des obersten Finanzgerichts vom 10. Februar 2019. „Gemeinnützige Körperschaften haben kein allgemeinpolitisches Mandat“, lautete der zentrale Satz. Die Tätigkeit der Organisation sei nicht durch den Paragrafen 52 der Abgabenordnung abgedeckt, in dem die gemeinnützigen Zwecke aufgezählt sind.

Das Urteil könnte erheblich Wirkung entfalten. Denn die vom Finanzamt Frankfurt/ Main früher zuerkannte Gemeinnützigkeit ermöglichte Attac, Spendenbescheinigungen auszustellen. Das ist für viele Leute ein zusätzlicher Anreiz, Vereinen, Verbänden und politischen Organisationen Geld zu geben, ohne das deren Arbeit häufig nicht möglich wäre. Das Verfahren gegen Attac wurde auch vom Bundesfinanzministerium betrieben – allerdings unter seinem ehemaligen Chef Wolfgang Schäuble (CDU). Dass Attac die Ministeriumsspitze besonders nervte, mag dazu beigetragen haben. Die Frage ist nun, ob Olaf Scholz (SPD) als aktueller Finanzminister die Richtung ändert. Die Äußerungen seines Staatssekretärs Bösinger deuten vielleicht daraufhin, müssen es aber nicht.

Schauplatz Zwei: die Deutsche Umwelthilfe (DUH). „Das Urteil“ zu Attac „wird sicherlich eine Rolle bei der weiteren Bewertung der Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe spielen“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Steffen Bilger (CDU). Die DUH betreibt zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Stadtverwaltungen im ganzen Bundesgebiet, um Fahrverbote für Diesel-Pkw durchzusetzen, die die Abgasgrenzwerte überschreiten – ein echtes Problem für Bürgermeister, Landesregierungen, die Bundesregierung und auch die Autoindustrie. So wurde der CDU-Bezirksverband Nordwürttemberg aktiv, dessen Vorsitzender Bilger ist. Der Parteiableger sitzt in Stuttgart, um die Ecke von Daimler und Porsche. Den Ehrenvorsitz übt Matthias Wissmann aus, ehemals Chef des Verbandes der Autoindustrie. Auf Antrag des Bezirksverbands forderte der CDU-Bundesparteitag im vergangenen Dezember „zu prüfen, ob die Deutsche Umwelthilfe noch die Kriterien für die Gemeinnützigkeit erfüllt“.

DUH-Chef Jürgen Resch betrachtet diese Intervention als Versuch, seine Organisation zu „diskreditieren“, obwohl sie schlicht darauf dringe, bestehende Gesetze durchzusetzen. „Die Konzerne haben Macht über die Politik, sie wollen durchregieren“, sagte Resch. Wobei der Angriff auf die DUH bisher keine praktische Wirkung erzielte. Das zuständige Finanzamt in Singen habe 2018 die Gemeinnützigkeit des Verbandes für weitere fünf Jahre bestätigt, so Resch. Und im Bundestag unternimmt die Unionsfraktion einstweilen keine Initiative, dem Parteitagsbeschluss Geltung zu verschaffen.

Auch die AfD ist aktiv. Vizebundessprecher Kay Gottschalk erklärte, es sei „höchste Zeit, dass der DUH die Gemeinnützigkeit aberkannt wird und ihr damit Spenden und Einfluss genommen werden“. Bereits 2017 beschwerte sich eine AfD-Politikerin beim zuständigen Finanzamt in Berlin über Campact. Weitere Organisationen gerieten ebenfalls ins Visier der Rechten. So fragte ein AfD-Abgeordneter schriftlich bei Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) an, warum ihr Haus das Forum Umwelt und Entwicklung finanziell fördere, obwohl diese NGO doch niemals AfD-Vertreter*innen zu Veranstaltungen einlade.

Schließlich greift die FDP die Tierschutzorganisation Peta an. Deren Kampagne „Der Holocaust auf Ihrem Teller“ relativiere „das Leid von Millionen Opfern“ des Nationalsozialismus. Außerdem legitimiere der Verein „Gesetzesbrüche, etwa Einbrüche in Ställe“. Nach dem Willen der FDP soll die Bundesregierung darauf hinwirken, dass in solchen Fällen die Gemeinnützigkeit verlorengeht. Auch den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) hat sich die FDP vorgeknöpft. Mit einer Anfrage ging die Bundestagsfraktion ihrem Verdacht nach, dass die Bundesregierung von Umweltschützern unterwandert sei.

Dieses Vorgehen verunsichere die Referate in den Ministerien, die für die Vergabe von Fördermitteln zuständig sind, sagte Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzringes (DNR). Mitglieder dieses Dachverbandes sind unter anderem der Nabu und Campact. „Wir stehen unter Druck,“ höre er beispielsweise aus dem Umweltministerium, so Niebert. So stehe die Förderung des DNR-Debatten-Magazins Novum in Frage. Weil die Ministeriumsspitze eingreift, lassen sich solche Probleme meist zwar beiseite schaffen. DNR-Chef Niebert meint trotzdem, „dass die illiberale Stimmung zunimmt“.

Man kann das so sehen. Tatsächlich ist ein gleichzeitiger Angriff auf zivilgesellschaftliche Verbände im Gange, organisiert von vier Akteuren: der Autoindustrie, CDU, FDP und AfD. Die illiberale Achse scheint vom Daimler-Konzern bis zum rechten Rand zu reichen. Aber muss man sich Sorgen machen?

Das große Bild sieht eher positiv aus. In vielen Staaten, auch in Deutschland nehmen Zahl und Bedeutung von NGOs zu. Eine wesentliche Ursache liegt in der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften. Der Einfluss vereinheitlichender Institutionen wie Volksparteien und Volkskirchen schwächt sich ab. Sie hinterlassen jedoch kein Vakuum, sondern machen Platz für eine zunehmende Vielfalt neuer Interessengruppen. Immer wieder entwickeln sich neue soziale Bedürfnisse, werden artikuliert und führen zur Organisierung. Dass die DUH bestehendes Umweltrecht gegen die Regierung und die sie tragenden Parteien durchsetzt, ist ein Ausdruck dieser Machtverschiebung.

Die offene Gesellschaft und die Aushandlung zeitgemäßer politischer Kompromisse sind hierzulande derzeit auch nicht grundsätzlich in Gefahr. In Deutschland werden „die bürgerlichen Freiheiten sowohl rechtlich wie praktisch weitgehend respektiert“, schreibt Civicus, eine globale Verbände-Allianz. „Zivilgesellschaftliche Organisationen können sich ungehindert gründen und betätigen.“ Die Bundesrepublik ist damit eines von nicht einmal zwei Dutzend Ländern dieser Erde, wo das so ist.

Um diesen Entwicklungsstand zu sichern, wären ein allerdings paar kleine, praktische Schritte hilfreich. So rät SPD-Finanzpolitiker Lothar Binding, den Katalog der gemeinnützigen Zwecke in der Abgabenordnung zu ergänzen. Die Grünen sehen es ähnlich. Attac, Campact und Co. wären dann abgesichert. NGO-Vertreter Diefenbach-Trommer hat einen konkreten Vorschlag. Die „Förderung der Menschenrechte“ und „soziale Gerechtigkeit“ sollten als förderfähige Anliegen aufgenommen werden. Außerdem brauche es eine Klarstellung, dass gemeinnützige Organisationen politisch arbeiten dürften, um ihre Zwecke zu verfolgen. „Wenn notwendig, werden wir gesetzlich nachbessern“, schrieb Staatsekretär Bösinger in seinem Brief. Mal sehen, was herauskommt. Die Union als Koalitionspartnerin dürfte davon nicht begeistert sein.

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