• Soljan: Auch im Urlaub kann der Körper nicht abschalten l Bild: DPtV
    Psychotherapeut Andreas Soljan

Immer mehr Menschen haben die „Freizeit-Krankheit“

Interview

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27. Jan. 2012 –

Sonne, Strand und Meer: Alles ist perfekt, doch die ersehnte Entspannung will sich nicht einstellen. Anstelle gibt es Kopfweh und Fieber. Experten nennen das die „Freizeit-Krankheit“. Was es mit der Erkrankung auf sich hat, erklärt Psychotherapeut Andreas Soljan im Gespräch mit unserer Mitarbeiterin Mandy Kunstmann.

 

Frage: Werden Menschen wirklich häufiger dann krank, wenn sie Urlaub machen?

 

Andreas Soljan: Da ist durchaus etwas dran. Dieses Phänomen hat vor einigen Jahren ein Professor an der Universität Leiden wiederentdeckt. In einer Untersuchung fand er heraus, dass viele seiner Probanden dazu neigten, krank zu werden, wenn sie sich eine Auszeit nahmen. Inzwischen beobachten wir, dass immer mehr Menschen von der so genannten „Freizeit-Krankheit“ betroffen sind.

 

Frage: Woran liegt das?

 

Soljan: Das liegt an unserer Entwicklungsgeschichte. Seit 120.000 Generationen sind wir Jäger und Sammler. Seit zehn Generationen leben wir in der nachindustriellen Welt. Und erst seit einer Generation sind wir im Zeitalter des World Wide Web angekommen. 99,9 Prozent seiner Existenz hat der Mensch also als Neandertaler verbracht.

 

Frage: Wir sind also immer noch auf das Leben im Busch eingestellt?

 

Soljan: Ja. Wenn es damals irgendwo geknackt hat, haben wir sofort eine andere Haltung eingenommen. Wir haben vielleicht gedacht, ein Säbelzahntiger sucht nach Beute und haben uns in Fluchtposition begeben. Das nennt man Bereitstellungsreflex. Das vegetative Nervensystem – also Atmung, Herz, Muskulatur, aber auch Augen, Ohren, Nase oder sogar Magen und Darm – reagiert auf den Reflex viel schneller als wir denken können. Das steckt noch immer in uns.

 

Frage: Heute knackt es aber nicht mehr im Busch und wir müssen nicht mehr die Flucht ergreifen.

 

Soljan: Dafür reagieren wir auf eine Vielzahl anderer Reize. Wir sind Gehirnmeister. Wenn ein Boulevardmagazin titelt „Sieben Kinder von Bus überrollt“, dann denkt die besorgte Mutter, ihrer Tochter könnte so etwas auch zustoßen. Und schon schreckt ihr Organsystem hoch, das Herz pumpt schneller und mit mehr Druck bis zu zwei Liter mehr Blut durch ihre Adern. 

 

Frage: Unser Körper läuft also ständig auf Hochtouren.

 

Soljan: Ja. Und er kann nicht mehr abschalten – auch nicht im Urlaub. Dann stellt man plötzlich fest, dass es einem auch an einem Feiertag nicht gut geht. Das Herz schlägt zu schnell, die Haut juckt.

 

Frage: Kann die Freizeit-Krankheit gefährlich werden?

 

Soljan: Unser Körper ist durchaus robust. Aber nach ein, zwei Jahren wird er sagen: „Ich habe die Nase voll“ und reagiert vielleicht mit Bluthochdruck, einem Hörsturz oder einer Depression. Und manch einer steigt dann vielleicht gar nicht erst in den Flieger nach Mallorca – aus Angst davor, krank zu werden.

 

Frage: Was kann man dagegen tun?

 

Soljan: Mit seinen Anzeichen warnt uns der Körper. Der Bereitstellungsreflex stellt uns eine Menge Energie zur Verfügung, die abgebaut werden muss. Wie wäre es mit einem 15-minütigen Spaziergang am Tag? Es müssen nicht zwei Stunden Fitnessstudio sein. Es sind Kleinigkeiten, die etwas bewirken. Wir sollten auf uns acht geben und in unseren Alltag kleine Ruheinseln einbauen. Das kann auch die Tasse Tee in der Mittagspause sein.

 

Bio-Box: Andreas Soljan (53) ist Psychotherapeut und vertritt im Vorstand der Deutschen Psychotherapeutischen Vereinigung (DPtV) Nordrhein 1.200 Kollegen.

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