Immerhin eine kleine Tätigkeit

Faktencheck: Hat SPD-Chefin Kraft Recht mit ihrem Vorschlag, Erwerbslosen mehr öffentlich finanzierte Niedriglohnjobs zu verschaffen? Sie liegt eher richtig als falsch.

Teilen!

Von Hannes Koch

08. Mär. 2010 –

Es gibt jede Menge Arbeit, die nicht getan wird, andererseits viele Menschen, die nichts zu tun haben. Deshalb will NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft den öffentlichen Beschäftigungssektor für Erwerbslose ausbauen. Dafür muss sie jetzt von allen Seiten, unter anderem der CDU und den Gewerkschaften, Kritik einstecken.


Trotzdem hat die SPD-Chefin ein tatsächliches Problem benannt, das seit Jahrzehnten nicht gelöst wird. Politiker und Jobcenter tun meist so, als könnten sie für jeden Arbeitslosen eine neue Stelle finden. Das aber ist unrealistisch. Für rund „1,2 Millionen Langzeitarbeitslose mit besonderen Handicaps“ gäbe es schlicht keine entsprechenden Lohnjobs, meint Kraft.


Dieser Hinweis geht grundsätzlich in die richtige Richtung – wenngleich die Zahl etwas zu hoch gegriffen erscheint. Ulrich Walwei, Vizechef des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, schätzt, dass die Lage für etwa 600.000 Hartz-IV-Empfänger bundesweit ziemlich aussichtslos ist. „Es gibt einen großen Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit“, sagt Walwei, „viele Personen haben es ganz schwer, eine Stelle auf dem regulären Arbeitsmarkt zu finden“.


Als Lösung schlägt Kraft nun vor, mehr niedrig bezahlte Stellen im öffentlichen Sektor anzubieten. Im Unterschied zu FDP-Chef Westerwelle droht die SPD-Chefin Arbeitslosen nicht mit Kürzung der Unterstützung und Repression, sondern hofft auf ihre Freiwilligkeit. Sie plädiert dafür, als Anreiz zusätzlich zum Arbeitslosengeld II „einen symbolischen Aufschlag“ zu zahlen.


Das läuft darauf hinaus, mehr so genannte Ein-Euro-Jobs einzurichten. Davon gibt es heute bundesweit rund 300.000. Die Langzeitarbeitslosen sind beispielsweise in Pflegeheimen beschäftigt, wo sie Spaziergänge mit alten Bewohnern machen, die mangels Personal sonst ausfallen würden. Zusätzlich zu Hartz-IV erhalten die Aushilfen etwa einen Euro pro Stunde – ein minimales Zubrot als kleine Anerkennung.


Wäre es nun sinnvoll, mehr von diesen Stellen einzurichten? „Nein“, sagt Annelie Buntenbach vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Der DGB spricht sich zwar regelmäßig für mehr Beschäftigung im öffentlichen Bereich aus, lehnt aber die Bezahlung auf Almosen-Niveau ab. Das Problem an dieser Haltung: Sie ist ehrenhaft, aber wirklichkeitsfremd. Viele Städte haben kein Geld, zusätzliche, vernünftig bezahlte Stellen einzurichten. Ein-Euro-Jobs erscheinen aus der Sicht kommunaler Kämmerer gerade noch finanzierbar. Pluspunkt für Kraft.


Wäre es denn nun möglich, die aktuellen 300.000 Ein-Euro-Jobs zu verdoppeln – Fall gelöst? Forscher Walwei ist skeptisch: „Das halte ich für problematisch. Diese Tätigkeiten könnten zunehmend in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Arbeitsverhältnissen treten“. Bisher ist öffentlich subventionierte Beschäftigung von Erwerbslosen so geregelt: Sie darf nur stattfinden, wenn sie die normalen Arbeitsplätze auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ nicht gefährdet. Darauf achten Wirtschaftsverbände und Unternehmen peinlich genau.


Das Gebot der Zusätzlichkeit ist ein Grund dafür, warum der offensichtlich absurde Zustand fortdauert: Es gibt jede Menge sinnvoller Arbeit, aber die Arbeitslosen dürfen sie nicht erledigen. Vor zwölf Jahren machte der Münchner Soziologe Ulrich Beck einmal einen trickreichen Vorschlag, um diesem Missstand abzuhelfen. „Bürgerarbeit“ nannte er sein Konzept. Arbeitslose könnten in Pflegeheimen arbeiten, Sozialarbeit leisten und Umweltschutz betreiben – ohne Bargeld zu erhalten, so Beck damals. Der Staat würde ihnen stattdessen immaterielle Anerkennungen zuteil werden lassen – öffentliche Ehrungen beispielsweise. Beck stellte sich das als Offensive der Ehrenamtlichkeit vor. So richtig durchgesetzt hat sich dieser Vorschlag freilich nicht.

« Zurück | Nachrichten »