• Jürgen Schupp |Foto: DIW
    Jürgen Schupp |Foto: DIW

„In Krisen nimmt das Gefühl für Ungerechtigkeit ab“

Jürgen Schupp erforscht das Glück der Deutschen. „So zufrieden wie vor 30 Jahren sind wir heute nicht“

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Von Hannes Koch

19. Sep. 2013 –

Hannes Koch: Für die Zeit nach der Bundestagswahl versprechen die Parteien, den Strompreis zu deckeln, die Steuern wahlweise zu erhöhen oder zu senken. Spielen die Aussichten auf solche finanziellen Vor- oder Nachteile eine Rolle dafür, ob die Deutschen sich glücklich fühlen?

 

Jürgen Schupp: Nein, derartige Vorschläge und Spekulationen über vermeintliche Folgen haben keinen Einfluss auf das Niveau der Zufriedenheit, das wir seit 30 Jahren mit unserer Studie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) ermitteln. Höhere Sorgen und wachsende Unzufriedenheit konnten wir aber in Phasen hoher Arbeitslosigkeit beobachten. So war es in den Jahren 2004 und 2005. Dabei leiden die Menschen nicht so sehr unter materiellen Einschränkungen, sondern eher unter dem Verlust des Arbeitsplatzes und der Entwurzelung aus einem sozialen Kontext, der ihnen wichtig ist. Gegenwärtig jedoch sind die in Deutschland lebendenden Menschen ziemlich zufrieden. Die wesentliche Ursache liegt in der niedrigen Arbeitslosigkeit.

 

Koch: Glück ist ein kurzer, Zufriedenheit ein länger dauernder Zustand. Machen Sie in Ihren Datenerhebungen einen Unterschied zwischen diesen beiden Empfindungen?

 

Schupp: Die Zufriedenheit haben wir seit Beginn der Studie im 1984 jährlich abgefragt. Seit 2007 ermitteln wir auch kurzfristiges Unglücklich- oder Glücklichsein unter anderem mit Fragen wie: Wie häufig oder selten haben Sie folgende Gefühle in den letzten vier Wochen erlebt - und zwar Angst, Ärger, Trauer oder Glück?

 

Koch: Können Sie den Verlauf der kollektiven deutschen Zufriedenheitskurve seit dem Start Ihrer regelmäßigen Untersuchung 1984 beschreiben?

 

Schupp: Zu Beginn der 1980er schien das Modell des Wirtschaftswachstum grundsätzlich noch zu funktionieren, und die Erwerbslosigkeit hielt sich im Rahmen. So lag die durchschnittliche Zufriedenheit der Deutschen damals bei 7,5 Punkten auf einer Skala, die bis zehn reicht. Von der Freude über die Wiedervereinigung unterbrochen, ging es dann abwärts: Atomkatastrophe von Tschernobyl, Angst vor der Globalisierung, fünf Millionen Arbeitslose 2005. Die durchschnittliche Zufriedenheit sank auf einen Wert von 6,9 Punkten. Seitdem steigt die Stimmung wieder, mit Pausen. So zufrieden wie vor 30 Jahren sind wir aber nach den SOEP-Daten immer noch nicht.

 

Koch: Was hat die Menschen am Tiefpunkt besonders bedrückt – die Arbeitslosigkeit oder die Antwort darauf – Hartz IV?

 

Schupp: Der Verlust des Arbeitsplatzes ist viel einschneidender. Und selbst wenn man eine neue Stelle bekommt, bleibt die Zufriedenheit gedämpft. Der Schock wirkt nach, die Angst sitzt tief. Der persönliche Verlust von Status und die geringere soziale Anerkennung wiegen schwerer als der Zorn über eine umstrittene Reform.

 

Koch: Die Wut über die von vielen als ungerecht kritisierte Agenda 2010 war also nicht die wesentliche Ursache für die verbreitete Unzufriedenheit?

 

Schupp: Zumindest ist es schwierig, diesen Zusammenhang mit unseren Daten zu belegen. Interessant erscheint ein anderer Befund: In Krisen nimmt das Gefühl für Ungerechtigkeit ab - auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. Wenn die Wirtschaft dagegen gut läuft, halten mehr Menschen ihren Arbeitslohn für zu niedrig. Mit der Lage verändert sich offensichtlich auch das Niveau der Ansprüche.

 

Koch: Stimmt die verbreitete Annahme, dass das Glücksempfinden oberhalb eines bestimmten materiellen Niveaus nicht mehr steigt – reiche Leute also kaum glücklicher sind als Angehörige der Mittelschicht?

 

Schupp: Nein. Wenn wir die Bevölkerung in Dezile, Gruppen zu jeweils zehn Prozent, einteilen, sehen wir: Je höher Einkommen und Vermögen steigen, desto zufriedener sind die Menschen im Durchschnitt. Oder umgekehrt: Je ärmer, desto unzufriedener.

 

Koch: Hängt das nur am Geld?

 

Schupp: Mindestens ebenso relevant sind Vorteile und Lebensstile, die mit dem materiellen Wohlstand einhergehen: bessere Bildung, gesunder Lebenswandel und höhere soziale Anerkennung.

 

Koch: Es heißt, Kinder seien glücklich - und ältere Menschen. Dazwischen liege die Mühsal des Berufs, des Kinderaufziehens, der Versorgung der Eltern. Gilt diese U-Kurve noch?

 

Schupp: Etwa zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr sind viele Menschen tatsächlich am wenigsten zufrieden. Mit dem Beginn des Rentenalters steigt das Wohlbefinden dann wieder. Insofern stimmt der Befund einer U-Kurve im Lebensverlauf. Mit einer Einschränkung: Während der letzten vier, fünf Jahre im hohen Alter sackt die Zufriedenheit stark ab. Das hat wenig mit der materiellen Lage, sondern mit gesundheitlichen Einschränkungen zu tun. Die letzten Lebensjahre sind hart.

 

Koch: Sie haben Einblick in die anonymen Daten zehntausender Bundesbürger. Mögen Sie uns einen Tipp für mehr Zufriedenheit geben?

 

Schupp: Vergemeinschafte Dich! Die Glücksrendite ist am höchsten, wenn man viele gute Freunde hat, in einem stabilen sozialen Netzwerk lebt, und mit anderen zusammen beispielsweise ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgeht. Das sind die Faktoren, die wirklich wichtig sind.

 

Bio-Kasten

Jürgen Schupp (Jg. 1956) ist Soziologe und leitet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin das Sozio-oekonomische Panel. Er lehrt als Professor am Institut für Soziologie der FU Berlin.

 

Info-Kasten

Das Sozio-oekonomische Panel

Die Langzeituntersuchung findet mittlerweile seit 30 Jahren statt. Im Auftrag des DIW werden jedes Jahr im Wesentlichen dieselben rund 15.000 deutschen Haushalte befragt. Auch die Fragen und Themen sind mehr oder weniger die gleichen. So lassen sich Veränderungen der materiellen und sozialen Lebensbedingungen gut nachvollziehen.

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