Jamaika in der Familie
taz-Kolumne - Wir retten die Welt
05. Nov. 2017 –
Mein 17jähriger Sohn ist ein ausgeglichener Typ. Jetzt aber schreibt er auf Whatsapp: „Ich dreh durch“. Er schickt mir eine Börsengrafik, die den Kurs von Air Berlin zeigt. Darunter eine Zahl: plus 109 Prozent. Das ist die vorübergehende Wertsteigerung der Aktie am 12. Oktober 2017, als die Lufthansa den Pleitegeier kauft. Mein Sohn interessiert sich für sowas. Er ahnte es.
Ein paar Tage vorher öffnet er deshalb das Online-Banking seines Jugend-Girokontos bei der Sparkasse. Der Plan ist, 50 Euro des ersten Minijob-Gehaltes zu investieren. Weil es nicht funktioniert, ruft er die Bank an. Der Berater amüsiert sich: Aktienkauf erst ab 18 Jahre! Außerdem schon mal gehört, dass man zuvor ein Aktiendepot einrichten muss? Hatte er nicht. So zieht der erste Aktiendeal an ihm vorbei. Vielleicht ist das gut so. Jetzt steht die Air Berlin-Aktie bei rund fünf Cent, weit unter dem Wert von Mitte Oktober.
Ist das jetzt FDP? Investieren, egal was, Hauptsache Gewinn? Vielleicht aber sind auf dem Weg von meiner Generation zu seiner neue Haltungskombinationen entstanden, die früher nicht möglich waren. Christian Lindner, sagt er, habe bei den Fernsehsendungen vor der Bundestagswahl im September als einziger so gesprochen, dass man ihn verstehe. Andererseits: Hätte mein Jüngster schon wählen können, wären seine Stimmen bei den Grünen gelandet.
So herrschen in unserer Familie schon mal gute Voraussetzungen für die Jamaika-Koalition. Meine 20-jährige Tochter allerdings sträubt sich noch. Bei der Bundestagswahl darf sie zum ersten Mal ihr demokratisches Recht ausüben. Sie jedoch zieht vor, es nicht zu tun. Immerhin geht sie hin. In der Wahlkabine klebt sie sich jedoch ein goldenes Tape über den Mund. Auf ihren Stimmzettel schreibt sie das Wort „Volksabstimmung“. Als sie ihn in die Urne wirft, schauen die Wahlhelfer streng, lassen das Stück Polittheater aber durchgehen. Eine Stimme für die etablierten Parteien? Da würde meine Tochter eher ein Flugzeug besteigen.
Sie fährt mit dem „Omnibus für Direkte Demokratie in Deutschland“ durch die Lande und agitiert die Leute in den Fußgängerzonen. Die Organisation fordert bundesweite Volksabstimmungen, ähnlich wie in der Schweiz. Auch für das bedingungslose Grundeinkommen macht sie sich stark. Alle BundesbürgerInnen sollen grundsätzlich einen Betrag von vielleicht 800 Euro monatlich erhalten – egal, ob sie arbeiten oder lieber darauf verzichten. Diese Idee kann man denken als Joint Venture aus katholischer Soziallehre, Liberalismus und und Absage an den Wachstumszwang. Gerne ärgere ich meine Tochter damit, dass ausgerechnet die Koalition aus Union, FDP und Grünen in Schleswig-Holstein vereinbart hat, darüber wenigstens mal nachzudenken. Deine Stimme für Jamaika!, rufe ich meiner Tochter zu. Sie droht, den Kontakt zu mir abzubrechen, mindestens bis zur nächsten Abendessen-Einladung.
Und doch passt alles zusammen. Wenn mein Sohn ordentlich verdient mit seinen künftigen Aktiengeschäften, kann man ihn und seine Freunde hoch besteuern. Das ermöglicht dem Staat, Grundeinkommen zu zahlen. Auch Leuten, die ungültig wählen.