Jetzt rollt die Klagewelle gegen VW richtig an
Bis zum Jahresende will der Rechtsdienstleister Myright Schadenersatzklagen von 35.000 VW-Kunden in Braunschweig einreichen. Ziel ist es, am Ende ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu erzwingen. Bislang haben Verbraucher nur jeden vierten Fall gewo
18. Okt. 2017 –
Die Justizangestellten im Landgericht Braunschweig können schon einmal einige Meter Regalplatz freiräumen. Denn in den kommenden Wochen wird das Gericht wohl von einer Klagewelle gegen den VW-Konzern überrollt. „Wir bearbeiten derzeit etwa 35.000 Fälle in Deutschland“, sagt der Chef des Rechtsdienstleisters Myright, Jan-Eike Andresen. Bis Ende Oktober werde Myright eine erste große Tranche von rund 15.000 Fällen in Braunschweig per Sammelklage einreichen. Außerdem, so kündigt er an, müsse sich die Justiz bis Ende Dezember auch auf Klagen aus anderen europäischen Ländern einstellen.
Myright lässt sich von VW-Kunden, die vom Skandal durch illegale Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung von Automodellen der Wolfsburger betroffen sind, die Schadenersatzansprüche übertragen. Dabei arbeitet das Unternehmen mit der auf Sammelklagen in den USA spezialisierten Anwaltskanzlei Hausfeld zusammen. Deren Rechtsanwälte wollen diese Ansprüche in Deutschland durchsetzen und klagen auf eine Rückzahlung des vollen Kaufpreises an die Autobesitzer durch den VW-Konzern.
Die Klagewelle bis Jahresende hat einen konkreten Grund. Am 31. Dezember verjähren mögliche Schadenersatzansprüche gegen Volkswagen. Liegen die Forderungen erst einmal beim Landgericht vor, spielt dies für die Kläger keine Rolle mehr, auch wenn eine höchstrichterliche Entscheidung erst sehr viel später fällt. Und davon geht Andresen auch aus. „Es geht darum, möglichst schnell von den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu kommen“, erläutert der Jurist.
Dabei musste der Prozessfinanzierer genau bei diesem Gericht erst vor wenigen Wochen in einem ersten Verfahren eine Schlappe einstecken. Die Richter stellten zwar fest, dass VW eine illegale Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug des Klägers eingesetzt hat. Doch den Kaufpreis von 41.000 Euro wollten sie ihm für die zwangsweise Rückabwicklung des Kaufs nicht zugestehen. Da die Typgenehmigung für das Auto weiterhin gelte, sei dem Kunden kein Schaden entstanden. Die Richter hielten es auch nicht für nötig, diese Frage dem EuGH vorzulegen. Die Hausfeld-Anwälte wollen nun durch die Instanzen gehen und rechnen damit, dass der Bundesgerichtshof am Ende doch ein Votum des EuGH einholen wird.
Sammelklagen wie in den USA sind in Deutschland nicht möglich. So kann es sein, dass das Landgericht den von Myright eingereichten Block von Klagen in Einzelfälle aufteilt. Damit wären die Juristen dann wohl lange Zeit beschäftigt. Ebenso ist eine Zurückweisung der Klagen möglich. Schließlich hat das Gericht die grundsätzliche Rechtsfrage hinsichtlich der Schadenersatzforderungen schon festgelegt.
Andresen wertet die erste Niederlage hingegen als Teilerfolg. „Das ist ein wertvolles Urteil, weil alle zugunsten der Verbraucher sprechenden Tatsachen wie die Verwendung einer illegalen Abschalteinrichtung festgestellt wurden“, sagt er. Die Hoffnung ruht auf der obersten europäischen Instanz in Luxemburg. Deren Entscheidungen fallen häufig verbraucherfreundlich aus und die Interessen der deutschen Automobilindustrie dürften für deren Richter kaum eine Rolle spielen.
Volkswagen sieht der Klagewelle gelassen entgegen. Bisher seien 70 bis 75 Prozent der Verfahren zugunsten VW ausgegangen, sagt Unternehmenssprecher Nicolai Laude. Bisher liegen seiner Schätzung nach 5.500 Klagen bei den Landgerichten vor. Der Konzern steht weiter auf dem Standpunkt, dass deutschen Autofahrern im Gegensatz zu den amerikanischen keine Entschädigung zusteht. Die Fahrzeuge seien zugelassen, sicher im Straßenverkehr und ohne Beeinträchtigungen, argumentiert VW. Anders gesagt: Es ist den Besitzern kein Schaden entstanden. In einigen Fällen schlossen die Wolfsburgen jedoch Vergleiche. „Das waren besondere Einzelfälle“, versichert Laude.
Betroffene VW-Kunden müssen selbst vor Gericht ziehen oder sich einem Prozessfinanzierer wie Myright anschließen. Diese Firmen übernehmen die Kosten der Klage, lassen sich dies im Erfolgsfall allerdings mit einem Anteil an der Entschädigung gut honorieren.