Jobcenter klagen gegen sittenwidrige Löhne

Im Spreewald bekam ein Bürohelfer 2,84 Euro pro Stunde. Mindestlohn wäre ein Gegenmittel

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Von Hannes Koch

18. Okt. 2013 –

Der arbeitslose 52-Jährige war bereit, eine Stelle anzutreten, bei der er 2,84 Euro pro Stunde verdiente. Damit kann man auch in der brandenburgischen Stadt Lübbenau, wo viele Dinge sehr billig sind, fast nichts kaufen. Mit Glück reicht dieses Geld für ein paar Schnitzel oder einen Laib Brot plus Butter. Aber selbst die Miete zahlen, Busfahren, Schuhe erwerben? Von derartigen Luxugütern konnte der Billigarbeiter nur träumen.

 

Angestellt war er als Bürohelfer für rund 14 Stunden pro Woche in einem kleinen Computer-Handel. Weil er von seinem Lohn nicht leben konnte, beantragte er aufstockendes Arbeitslosengeld II beim Jobcenter Oberspreewald-Lausitz. Dessen Mitarbeiter legten schließlich Klage beim Arbeitsgericht wegen sittenwidrig niedriger Bezahlung ein – und gewannen. Nun muss die Firma 1.560 Euro Lohn nachzahlen.

 

Fälle wie diesen haben SPD-Chef Sigmar Gabriel und CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann im Sinn, wenn sie sich für Mindestlöhne in Deutschland einsetzen. Läge eine gesetzlich festgeschriebene Untergrenze der Bezahlung bei fünf, sechs oder 8,50 Euro, wie es die SPD wünscht, müssten sich viele Beschäftigte weniger finanzielle Sorgen machen. Niedrigstlöhne wie 2,84 Euro wären dann flächendeckend verboten. Darüber, wie eine Mindestlohn-Regelung aussehen könnte, sprechen Union und SPD jetzt bei ihren Koalitionsverhandlungen.

 

„Seit Herbst 2012 führen wir systematische Prüfungen im Hinblick auf Niedrigstlöhne durch“, sagt Hans-Jörg Milinski vom Jobcenter Oberspreewald. Daraus seien 13 Verfahren und mindestens drei Klagen entstanden. Die rechtliche Argumentation sieht so aus: Liegt die jeweilige Bezahlung nicht mindestens bei zwei Dritteln des Tariflohns oder, wenn es einen solchen nicht gibt, des örtsüblichen Gehalts, gilt sie als sittenwidrig. Dann strengt das Jobcenter eine so genannte Lohnwucherklage an. Im Fall des 52-Jährigen Bürohelfers betrug der Vergleichslohn fünf Euro pro Stunde. Der Mann hätte etwa 3,40 Euro stündlich erhalten müssen. Auch nicht viel – aber mehr als 2,84 Euro.

 

Unterliegt der jeweilige Arbeitgeber vor Gericht, muss er den vorenthaltenen Lohn nachzahlen - an das Jobcenter. Der Beschäftigte profitiert davon nicht. Die Logik: Das Jobcenter holt sich das von ihm ausgezahlte Arbeitslosengeld teilweise von der Firma zurück. Die Hartz-IV-Zuschüsse wären ja nicht notwendig gewesen, hätte er Arbeitnehmer einen höheren Lohn erhalten.

 

2009 schuf das Bundesarbeitsgericht mit einem Urteil die Basis für solche Klagen. Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg reagierte: Alle Jobcenter in Deutschland erhielten einen schriftlichen Leitfaden inklusive vorgefertigtem Klage-Text. Löhne von deutlich unter drei Euro pro Stunde sollen überprüft werden, sagt Agentur-Sprecherin Anja Huth.

 

Vor allem in Ostdeutschland ist das Problem der Niedrigstlöhne bekannt. Brandenburg ist ein Schwerpunkt. Im Westen dagegen sieht es besser aus. Die Regionaldirektionen der Arbeitsagentur in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württenberg wissen nichts von konkreten Fällen oder Klagen.

 

Für Werner Marquis von der Regionaldirektion NRW in Düsseldorf ist dies ein Beleg dafür, dass Niedrigstlöhne wie 2,84 Euro an Rhein und Ruhr nur sehr selten vorkommen. „Firmen finden keine Leute zu solchen Konditionen“, so Marquis. Sein Kollege Olaf Bentlage aus Stuttgart hat dieselbe Einschätzung. In Baden-Württemberg dürfte noch hinzukommen, dass die Arbeitslosigkeit bei nur vier Prozent liegt. In vielen Gegenden herrscht Vollbeschäftigung. Das treibt die Löhne nach oben, nicht nach unten.

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