„Kein System ist absolut sicher!“

Interview

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Von Wolfgang Mulke

21. Dez. 2011 –

Der Kampf gegen eine Verbreitung der Altersarmut hat noch gar nicht richtig begonnen. Davon ist Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski überzeugt. Der 64-jährige Finanzwissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität hält eine radikale Reform für unvermeidlich. Der Forscher ist verheiratet und hat ein Kind.



Frage: Viele Menschen haben Angst vor Altersarmut. Helfen Riester-Renten oder Vorschläge für einen Rentenzuschuss aus, um diese Gefahr zu vermindern?


Hans-Peter Schwintowski: Nein, die Gefahr ist nicht gebannt. Wir füllen nur hier und dort entstehende Lücken im Vorsorgesystem, statt strukturelle Änderungen vorzunehmen. Die Instrumente sind nicht aufeinander abgestimmt, die steuerlichen Wirkungen sind nicht durchdacht. Ein auskömmliches Alterseinkommen erreichen wir so nicht. Statt dessen fördern wir durch Steuervorteile Leute, die es gar nicht nötig haben.


Frage: Sie plädieren für einen radikalen Umbau des Rentensystems. Wie wollen Sie Altersarmut verhindern?


Schwintowski: Wir haben in einem wissenschaftlichen Projekt einen neuen Ansatz gewählt, der sich am tatsächlichen Mindestbedarf eines Rentners orientiert. Unser Ausgangspunkt ist damit ein Monatseinkommen von 1.000 Euro. Das ist deutlich mehr als die heutige Grundsicherung. Dieses Einkommen setzt sich zur einen Hälfte aus dem heute praktizierten Umlageverfahren und zur anderen Hälfte aus einer kapitalgedeckten Rentenversicherung zusammen. Wer ein höheres Einkommen haben will, muss dann privat zusätzlich vorsorgen. Das System könnte sofort eingeführt werden. Der Beitrag zur Rentenversicherung würde sich sofort halbieren. Bis zum Jahr 2070 würde dies den Staat zudem um 3,2 Billionen Euro entlasten, weil der Bundeszuschuss nach und nach abgesenkt wird.


Frage: Wollen Sie den Bestandsschutz abschaffen?


Schwintowski: Nein, es gibt Übergangszeiten, damit sich jede Generation auf die neue Struktur einstellen kann. Die Grundidee ist ein Altersvorsorgekonto, auf dem man praktisch mit der Geburt beginnt, den kapitalgedeckten Teil der Rente anzusparen. Unsere Mathematiker haben errechnet, dass schon ein einmaliger Beitrag von 5.260 Euro oder ein monatlicher Beitrag von 15 Euro für eine spätere Rentenzahlung von 500 Euro ausreicht. Denn über einen so langen Zeitraum entsteht ein gigantischer Zinseszinseffekt.


Frage: Ist ihre Begeisterung für eine kapitalgedeckte Rente angesichts der Erfahrungen aus der jüngsten Finanzkrise gerechtfertigt?


Schwintowski: Kein System ist absolut sicher. Bei einer Weltwirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes wäre auch das bisherige Rentensystem nicht haltbar. Es wird immer wieder Verwerfungen an den Märkten geben. Aber alle Erfahrung aus über 100 Jahren zeigt, dass eine durchschnittliche Verzinsung des Kapitals von mehr als fünf Prozent realistisch ist. Da die Weltbevölkerung wächst und damit auch die Weltwirtschaft, wird es auch keine Probleme geben, die Guthaben mit Rentenbeginn aufzulösen.


Frage: Ähnliche Ideen gab es schon, auch von Beratern der Bundesregierung. Widerhall fanden sie nicht. Glauben Sie an eine Chance für Ihren Vorschlag?


Schwintowski: Große Systeme sind schwer zu reformieren. Meistens braucht es dazu Katastrophen. Die Sozialsysteme laufen bis zum Jahr 2020 in eine solche Krisen hinein. Dann werden wir Reformen neu diskutieren. Denn unser System führt dazu, dass Altersarmut überwunden wird. Und es ist zudem finanziell extrem günstig.


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