• Gerd Billen

„Keiner schaut hin!“

Interview

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Von Wolfgang Mulke

19. Jan. 2012 –

Bei fast allen Lebensmittelskandalen fällt auf, dass das Kontrollsystem der Behörden an irgendeiem Punkt versagt hat. Deshalb plädiert der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv), Gerd Billen, die Überwachung von Erzeugern, Händlern und Industrie neu zu ordnen.

Frage: Herr Billen, Politiker betonen immer wieder, dass unsere Lebensmittel sicher seien. Tatsächlich gibt es immer wieder Skandale. Werden die Verbraucher nicht ständig belogen?

Gerd Billen: Es wird nicht die volle Wahrheit gesagt, weil das Kontrollsystem viele Schwachstellen hat. Das betrifft die Futtermittel, die Tierhaltung und geht hin bis zur Gastronomie. Ich finde diese Mängel nicht akzeptabel. Wenn sich daran nichts ändert, nimmt man weitere Skandale in Kauf.

Frage: Wie kann die Lebensmittelüberwachung besser werden?

Billen: Den Markt dominieren große Konzerne und riesige Schlachtbetriebe. Über die Seehäfen kommen gewaltige Mengen Lebensmittel ins Land. Zuständig für die Kontrolle sind aber oft Kommunen, denen das Geld dafür fehlt. Deshalb müssen die Strukturen verändert werden. Überregional tätige Marktteilnehmer sollte der Bund kontrollieren, regionale Märkte können die Länder beaufsichtigen.

Frage: Bisher scheitert eine wirksame Kontrolle am Geld für das notwendige Personal. Wo sollen die Mittel herkommen?
Billen: Die Lebensmittelkontrolleure heute sind hoffnungslos überfordert. Viele Betriebe fallen durch das Raster; einige werden nur alle drei Jahre aufgesucht. Das müssen Bund und Länder ändern und die nötigten finanziellen Mittel bereitstellen. Zudem sollten wie in anderen Branchen die Betriebe, die kontrolliert werden, auch an den Kosten dafür beteiligt werden. Dann lässt sich diese Aufgabe auch lösen.

Frage: Die Ernährungsbranche hat Preiserhöhungen angekündigt. Sind die Verbraucher heute auch bereit, für gute Qualität mehr zu bezahlen als bisher?

Billen: Es gibt einen erkennbaren Trend zu mehr Qualität beim Einkauf. Doch der Preis wird ein mitentscheidendes Kriterium bleiben. Die Bedürfnisse der Verbraucher sind sehr unterschiedlich, damit auch ihr Verhalten. Wer gesundheits- und umweltbewusst ist, achtet eher auf Herkunft und Güte der Nahrungsmittel. Wichtig ist, dass gute Lebensmittel auch bezahlbar sind. Insbesondere für Menschen, die  wenig finanziellen Spielraum haben.  Klar ist: An Sicherheit darf nicht gespart werden.


Frage: Zur Grünen Woche hat Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner eine Charta für eine wünschenswerte Agrarstruktur vorgestellt, die auch Verbraucherinteressen im Blick hat. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Billen: Den Ansatz, viele unterschiedliche Gruppen an einen Tisch zu holen, fand ich sehr gut. Vieles von dem, was wir in die Diskussion eingebracht haben, wurde aufgegriffen, Ziele und Maßnahmen wurden formuliert. Darauf aufbauend benötigen wir jetzt einen strategischen Kompass, bis wann welche Maßnahmen mit welcher Priorität verbindlich umgesetzt werden. Wir müssen grundsätzlich entscheiden, welche Landwirtschaft wir wollen. Erzeuger,  Hersteller und Handel müssen umdenken. Hähnchenbestände, in denen zur Vorbeugung alle Tiere mit Antibiotika behandelt werden, will sicher niemand.






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