Kinder brauchen keine Extrawurst

Spezielle Produkte für die Kleinsten bringen nach Ansicht der Verbraucherzentralen keinen Nutzen / Industrie will die Jüngsten an Fertiggerichte gewöhnen

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Von Wolfgang Mulke

24. Jan. 2012 –

Kinder sollten ab einem Alter von einem Jahr ganz normal mit den Eltern gemeinsam speisen. Sonderprodukte für Kinder wie Fruchtzwerge, Wurst mit Bildern oder kleine Spielzeuggeschenke und anderes mehr hält der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) für überflüssig und teuer. „Kleinkinder brauchen keine Extrawurst“, stellt vzbv-Chef Gerd Billen fest.

 

Viele Produkte werden durch eine spezielle Aufmachung, etwa Abbildungen von Comicfiguren, für eine junge Zielgruppe interessant gemacht. Die Eltern gehen meist davon aus, dass die Rezepturen der Nahrungsmittel dafür auch kindgerecht zusammengestellt wird. 40 Prozent der vom Verband repräsentativ Befragten Kunden vermuteten beim Inhalt wenig Zucker, Salz und Fett. Doch weit gefehlt. Ein Marktcheck der Bremer Verbraucherzentrale im letzten Sommer dient als Beleg. Von 39 untersuchten Kinderlebensmitteln enthielten 41 Prozent zu viel Zucker, 16 Prozent mehr Salz als gut ist und gut ein Drittel zu viele ungünstig gesättigte Fettsäuren. Der Blick auf die Nährwertangaben auf der Verpackung hilft den Eltern beim Einkauf auch nicht recht weiter. Denn die Hersteller legen beim Kalorienbedarf auch hier den einer erwachsenen Frau zugrunde.

 

Nach Beobachtung des Verbands hat sich die Industrie mit Kleinstkindern im Alter von unter drei Jahren eine neue Zielgruppe erschlossen. Die Lebensmittel gelten als diätisch. Dazu gehören zum Beispiel Trinkbreie oder Kindermilch. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BvR) kam in einer Studie zum Ergebnis, dass Kindermilch nicht besser ist als Kuhmilch. Aber teurer ist sie allemal. Nach Berechnung des vzbv kostet sie im Jahr bis zu 270 Euro mehr als fettarme Milch.

 

Vor allem ärgert sich Billen über die frühe Gewöhnung der Sprößlinge an industriell hergestellte Fertigprodukte. „Eltern und Kinder werden von Anfang an entmündigt und auf Fertigprodukte geeicht“, kritisiert Billen. Kinder sollten echtes Obst kennenlernen und nicht nur Aromen. Auch die Werbeaussagen stellt der Verband an den Pranger. Denn häufig versprechen die Hersteller gesundheitsfördernde Eigenschaften beim Riegel oder Getränk. Manche sollen besonders viele Vitamine beinhalten, andere zu einer besseren Jodversorgung beitragen. Rechtlich ist das höchst umstritten, weil das EU-Recht eigentlich einen Wirksamkeitsnachweis verlangt, wenn derlei Nebeneffekte einer Mahlzeit versprochen werden. Ein Dossier des vzbv spricht von einem Wildwuchs bei der Umsetzung der entsprechenden Verordnung.

 

Billen will einen Verzicht der Hersteller auf eine speziell an Kinder gerichtete Werbung durchsetzen. Wenn die Selbstverpflichtung der Branche nicht eingehalten werde, müsse die Politik handeln. Der Markt ist für die Industrie bedeutsam. Über 600 Millionen Euro gaben die Unternehmen 2010 allein für die Werbung für Süßigkeiten aus. Auch greifen viele Eltern gerne zu Kinderprodukten. Fruchtzwerge & Co kauften im letzten Jahr laut Verband 15 Millionen Haushalte. Für Kindermilch, -joghurts und -quarks wurden 165 Millionen Euro ausgegeben. Neue Produkte wie Kinderwurst oder -pudding verzeichnen jährlich zweistellige Zuwachsraten.

 

 

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