• Tobias Effertz
    Tobias Effertz |Foto: Privat

"Kinderwerbung muss verboten werden!"

Im Interview: Tobias Effertz

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Von Wolfgang Mulke

24. Okt. 2012 –

Kinder werden mit Werbung überflutet, vor allem beim Fernsehen. Schon lange tobt ein Streit über die Wirkung der Reklamespots auf den Nachwuchs. Der Wirtschaftswissenschaftler Tobias Effertz von der Uni Hamburg sieht einen Zusammenhang zwischen Werbung und ungesundem Konsum. Der 37-jährige Marketingexperte ist verheiratet und selbst Vater eines Kindes.


Frage: Sie haben herausgefunden, dass Kinder pro Jahr zwischen 12.000 und 19.300 Werbespots sehen. Was bewirkt die Dauerberieselung bei den Kids?


Tobias Effertz: Die Produkte werden nachgefragt und das Konsumverhalten insgesamt durch die Industrie gesteuert. Der größte Teil der Werbung kommt aus der Nahrungsmittelindustrie oder von Spielzeugherstellern. Oft werden Kinder aber auch gezielt für Produkte angesprochen, die eigentlich für ihre Eltern gedacht sind. Da nutzt die Wirtschaft den Quengeleffekt aus, weil Kinder den Einkauf der Eltern mitbestimmen. Allein die Umsätze durch das Quengeln werden auf 70 Milliarden Euro im Jahr geschätzt.


Frage: Mit welchen Tricks wird da gearbeitet?


Effertz: Die Unternehmen bilden gezielt Kulturen und Erlebniswelten aus. Der emotionalen Ansprache können sich die Kinder noch gar nicht entziehen. So werden schon früh ungesunde Verhaltensmuster geprägt, die unter anderem zu Übergewicht führen. Dieses Problem besteht auch bei den Jugendlichen weiter fort. Ein Beispiel dafür war die Kampagne von Marlboro, die sich an Jugendliche und Heranwachsende richtete. Überall in den Städten hingen Plakate, die unter dem Motto "Maybe" eine attraktive Lebenswelt darstellten. Der Hersteller sagt selbst, dass damit die Zahl der Marlboro-Raucher in der Altersklasse zwischen 18 und 24 deutlich angestiegen ist. Dabei ist es in Deutschland verboten, Zigarettenwerbung auf Heranwachsende bis 21 Jahre auszurichten.


Frage: Ist es nicht die Aufgabe der Eltern, auf eine gesunde Entwicklung ihrer Sprößlinge zu achten?


Effertz: Das hört sich gut an, geht aber an der Realität völlig vorbei. Eltern können nicht 24 Stunden neben ihren Kindern sitzen und nach jedem Werbespot lange Erklärungen dazu abgeben. Die Kräfte sind hier völlig ungleich verteilt. Auf der einen Seite sind die Eltern und die Schulen mit knappen Ressourcen, auf der anderen sitzt die Industrie und pumpt Milliarden in die Werbung.


Frage: Die Werbewirtschaft setzt auf eine Selbstverpflichtung der Industrie, Schaden von den Kindern fernzuhalten. Reicht das nicht aus?


Effertz: Außer weiße Salbe zu verteilen, tut die Industrie gar nichts. Es gibt nicht eine Maßnahme der Wirtschaft, die zu Lasten ihres Umsatzes geht. Die Unternehmen brauchen die Kinder als Kunden von morgen. Ob das zu problematischen Entwicklungen wie Übergewicht führt, ist ihnen am Ende egal. Deshalb muss Kinderwerbung verboten werden.


Frage: Schießen Sie da nicht mit einer Kanone auf Spatzen?


Effertz: Nein, denn das ist auch ökonomisch geboten. Die Nahrungsmittelbranche investiert jährlich ca. 2,7 Milliarden Euro in die Bewerbung von Produkten, die mehrheitlich zu viel Zucker oder Fett enthalten. Die Kosten für die Gesellschaft durch Folgeerkrankungen bei den Fettleibigen betragen aber jährlich wenigstens 30 Milliarden Euro. Allein das ist ein Grund zu handeln.


Frage: Darf dann nicht mehr für Süßkram geworben werden, der auch Erwachsenen schmeckt?


Effertz: Man muss Kriterien für Verbote finden. Eines könnte in der Reichweite der Werbung liegen. Wenn ein Sender mehr als 15 Prozent Kinder als Zuschauer hat, darf dort halt keine Reklame mehr für zu salzige, zu fette oder zu süße Produkte laufen.


Frage: Dann ist also nur noch Müsliwerbung erlaubt?


Effertz: Nur, wenn die Werbung auf Erwachsene zielt. Sobald ein Schlupfloch offen bleibt, Kinder zu umwerben, wird die Regelung genau dort von der Industrie auch ausgenutzt. Mir geht es um unsere Kinder. Ich will keine Zensur, ich will, dass die Kinder in Ruhe gelassen werden. Denn es ist kein fairer Kommunikationsprozess zwischen den Marketingexperten der Industrie und der Gutgläubigkeit der Jüngsten.


Frage: Es läuft doch auch im normalen Programm ständig Werbung. Können Verbote tatsächlich das Verhalten ändern?


Effertz: Sie müssen sich verdeutlichen, dass Konsummuster in jungen Jahren angelegt werden. Wer bis zum 21. Lebensjahr nicht raucht oder schlank geblieben ist, wird daran mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr viel ändern. Deshalb sind die Unternehmen, die Dickmacher, Zigaretten oder Alkohol herstellen, ja hinter den Kindern her. Aber es geht nicht allein um ein Werbeverbot. Dazu müssten die Steuern auf ungesunde Nahrungsmittel erhöht werden.


Frage: Wollen Sie, dass sich arme Familien nicht einmal mehr den Lebkuchen zu Weihnachten oder das Schokoei zu Ostern leisten können?


Effertz: Der Lebkuchen wird dann vielleicht teurer, aber andere, gesündere Sachen bleiben günstig. In den ärmeren Bevölkerungsteilen ist Fettleibigkeit stark verbreitet. Durch Steuern würden die Armen gesünder essen und abnehmen. Es ist wichtig, dass die Preise die Gesundheitskosten widerspiegeln, zu denen der Konsum langfristig führt. Die Erfahrungen mit Alkopops oder Zigaretten zeigen, dass Steuererhöhungen nachweislich steuernd wirken. Nahrungsmittel mit zu viel Salz, Fett oder Zucker sollten daher wenigstens zwanzig Prozent teurer werden.




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