Klimaschutz per Gerichtsbeschluss

Die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace gehen juristisch gegen BMW, Mercedes-Benz, VW und Wintershall vor. Notfalls soll durch alle Instanzen geklagt werden

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Von Björn Hartmann

03. Sep. 2021 –

Kommende Woche will die deutsche Autoindustrie auf der Branchenmesse IAA in München mit neuen Fahrzeugen und Konzepten glänzen. Die Stimmung ist möglicherweise nicht so gut, wie geplant. Denn die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Greenpeace gehen gegen BMW, Mercedes-Benz und VW vor und bereiten Klagen vor. Auch Wintershall, Deutschlands größter unabhängiger Gas- und Ölförderer, hat Post bekommen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

Worum geht es?

Das internationale Pariser Klimaschutzabkommen sieht vor, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Der Weltklimarat IPCC legte 1,5 Grad nahe. Dafür muss der CO2-Ausstoß sinken. Die Bundesregierung hat ein Klimaschutzgesetz beschlossen, wonach Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, also zum Beispiel nur noch soviel CO2 ausstößt, wie gleichzeitig gespeichert wird. Teil der Anstrengungen ist etwa der Kohleausstieg bis 2038. Die Industrie, einer der größten Verursacher von CO2 muss sich auf die Klimaziele einrichten. DUH und Greenpeace sehen hier wenig Bewegung bei den Unternehmen, die sich demnach vor Klimaschutz drücken.

Was verlangen DUH und Greenpeace?

Die deutschen Autobauer sollen unter anderem ihr Geschäftsmodell umstellen, sich verpflichten, den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren zu stoppen. Bisher gibt es dafür nur Absichtserklärungen. Wintershall soll spätestens von 2026 an keine neuen Gas- und Ölfelder mehr erschließen. Die Forderungen greifen tief in die unternehmerische Freiheit ein.

Wer steht hinter dem Vorgehen?

Weil Verbänden in Fällen wie diesen nicht klagen dürfen, schickt Greenpeace zwei Geschäftsführer vor. Mit dabei ist auch Clara Mayer, aktiv bei Fridays for Future. Sie ist bei VW bekannt: Sie redet auf der Hauptversammlung 2019 über mehr Klimaschutz. Vertreten werden die drei von Roda Verheyen von der Kanzlei Günther in Hamburg. Die streitbare Rechtsanwältin war daran beteiligt, die erste Fassung des Klimaschutzgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen. BMW, Mercedes-Benz und Wintershall haben Post von der Berliner Kanzlei Geulen und Klinger im Namen der drei DUH-Geschäftsführer bekommen. Anwalt Remo Klinger vertritt auch einen peruanischen Bauern, der wegen Klimavergehen gegen den deutschen Energiekonzern RWE klagt.

Wie gehen Greenpeace und die DUH vor?

Juristisch ist die Lage etwas kompliziert. Sehr vereinfacht: Die sechs Kläger sehen sich in ihren Gesundheits- und Freiheitsrechten durch das Handeln der Unternehmen eingeschränkt. Zunächst haben BMW, Mercedes-Benz, VW und Wintershall Unterlassungserklärungen zugesandt bekommen. VW hat Zeit bis Ende September, um die Forderungen umzusetzen, die anderen drei Konzerne bis zum 20. September. Weil weder DUH noch Greenpeace offenbar damit rechnen, dass die Firmen den weitreichenden Einschnitten zustimmen, kündigten sie an, nach Ablauf der Fristen zu klagen – notfalls durch alle Instanzen.

Wieso gehen Greenpeace und DUH von einem Sieg aus?

Vorbild ist das Urteil eines niederländischen Gerichts gegen Shell, den größten Ölkonzern der Welt mit Sitz in Amsterdam und London. Erstmals wurde im Mai ein Unternehmen verpflichtet, dass seine Produkte künftig keinen Klimaschaden mehr anrichten können – ein radikaler Einschnitt in das Geschäftsmodell. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht im April ein Grundrecht der kommenden Generationen auf Klimaschutz anerkannt. Auch rechnen die beiden Kanzleien damit, dass die vier deutschen Unternehmen es nicht darauf ankommen lassen, jahrelang durch alle Instanzen zu klagen und dann zu verlieren. „Dann müssten sie in noch kürzerer Zeit noch mehr tun“, sagte Anwalt Klinger.

Wo wird geklagt?

Sollte es soweit kommen, werden DUH und Greenpeace vor den Landgerichten Braunschweig (VW), Kassel (Wintershall), München I (BMW) und Stuttgart (Mercedes-Benz) klagen.

Warum trifft es die vier Unternehmen?

Die vier Unternehmen gehören zu den größten in Deutschland. Und sie sind global tätig. Die deutschen Autohersteller sind allein 2019 weltweit für eine CO2-Menge wie die Deutschlands verantwortlich, wie DUH und Greenpeace errechnet haben. Deutschland steht für zwei Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Wintershall ist der größte deutsche Öl- und Gasförderer, der international tätig ist und auch Deutschlands einzige Offshore-Ölplattform betreibt, Mittelplate im Wattenmeer. Das Unternehmen will sein Geschäft ausbauen. Es gehört mehrheitlich BASF, dem größten Chemiekonzern der Welt außerhalb Chinas.

Wird es weitere Klagen geben?

DUH-Geschäftsführer kündigte weitere Klagen gegen andere Unternehmen an.

Mit welchen Kosten rechnen Greenpeace und DUH? Wie werden die Verfahren finanziert?

Mit welchen Kosten sie für die vier Verfahren rechnen, wollten Greenpeace und DUH nicht sagen. Der Streitwert der Klagen ist noch unklar. Greenpeace finanziert die Verfahren über Spenden, wie Geschäftsführer Martin Kaiser sagte. Die Deutsche Umwelthilfe setzt auf private Spenden. „Wir sind noch nicht durch und werben für Patenschaften“, sagte Geschäftsführer Jürgen Resch. Er sei zuversichtlich, dass alle Kosten gedeckt werden können.

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