Kluft zwischen Arm und Reich gewachsen

Die Ungleichheit in Deutschland besonders stark zugenommen / Aber Aufschwung hat Armut ausgebremst

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Von Wolfgang Mulke

21. Okt. 2008 –

Die Einkommen in Deutschland sind in den letzten Jahren stärker auseinandergedriftet als in anderen Ländern. Das geht aus einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) hervor, der am Dienstag vorgestellt wurde. „Mehr Ungleichheit trotz Wachstum“, heißt die Studie über die Entwicklung in den 30 Mitgliedsländern, der zufolge auch die Armut in Deutschland schneller zugenommen hat als anderswo.

 

Das Wohlstandsgefälle hat sich zwischen 2000 und 2005 mehr vergrößert als in den 15 Jahren zuvor. Mittlerweile liegt Deutschland im Mittelfeld der OECD. In den meisten anderen Ländern gab es allerdings eine ähnliche Entwicklung. Nur in Frankreich, Spanien, Irland, Griechenland und der Türkei hat sich die Einkommensschere nicht weiter geöffnet. Die OECD sieht in Deutschland mehrere Tendenzen. So ist in den untersuchten Jahren die Arbeitslosigkeit deutlich angestiegen. Das ist der wichtigste Grund für Einkommensarmut. Der Anteil der Bürger, die in einem Haushalt ohne Erwerbseinkünfte leben, ist von gut 15 Prozent auf über 19 Prozent gestiegen. Damit nimmt Deutschland innerhalb der OECD einen unrühmlichen Spitzenplatz ein.

 

Auf der anderen Seite sind die Löhne und Gehälter der Besserverdienenden überdurchschnittlich angestiegen. Für OECD-Generalsekretär Angel Gurria ist der Trend problematisch. „Die höhere Einkommensungleichheit erschwert den Aufstieg über Generationen hinweg“, sagte Gurria in Paris. Hart arbeitende Menschen falle es schwerer, einen verdienten Lohn zu erhalten.

 

Die lange Zeit stagnierenden Löhne und veränderte Haushaltsstrukturen haben zudem für einen wachsenden Anteil armer Haushalte geführt. Dazu trägt der immer höhere Anteil an Single-Haushalten und Familien mit nur einem Elternteil bei. Denn diese Lebensformen sind teurer als das Leben in konventionellen Partnerschaften. Unter dem Strich haben die Betroffenen bei gleichem Einkommen weniger zum Leben. Als von Armut bedroht gilt in der OECD, wer weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens verdient. In Deutschland liegt dieser Wert bei gut 18.000 Euro im Jahr für einen Alleinstehenden. 2005 lebten knapp elf Prozent der Bundesbürger unterhalb der Armutsschwelle, mehr als im Durchschnitt der OECD. In Skandinavien sind nur halb so viele Menschen arm. In Deutschland leiden besonders Kinder unter der sozialen Kluft. 16 Prozent des Nachwuchses leben besonders häufig in armen Haushalten. Altersarmut spielt dagegen nur eine geringe Rolle.

 

Immerhin gibt es auch gute Nachrichten. Langzeitarmut ist in Deutschland nicht sehr weit verbreitet. Lediglich knapp drei Prozent der Bevölkerung lebt länger als drei Jahre unter unzureichenden Bedingungen. Auch ist die materielle Ausstattung der armen Haushalte besser als anderswo.

 

Die Studie der OECD hat jedoch eine gravierende Schwäche. Zwischen 2000 und 2005 lief die Wirtschaft ungewöhnlich schlecht. Die Arbeitslosigkeit nahm zu und die Löhne sanken auch als Folge der Arbeitsmarktreformen deutlich ab. Nach 2006 hat sich das Blatt gewendet. Im Aufschwung und in Folge des Jobwunders konnten viele Haushalte ihre Einkommenslage deutlich verbessern. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, das die Zahl der Armen in den letzten beiden Jahren um mehr als eine Million zurückgegangen ist.

 

 

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