Koalition stellt Blanko-Scheck über 500 Milliarden aus
Bundestag und Bundesrat beschließen das Rettungspaket für angeschlagene Banken. Opposition kritisiert mangelnde Kontrolle
17. Okt. 2008 –
Ein großes Experiment haben am Freitag Bundesregierung und Parlament unternommen. Gemeinsam gründeten sie eine Art neuer Treuhand-Anstalt zur Rettung der angeschlagenen Banken. Union, SPD und FDP stimmten dafür, die so genannte Finanzmarktstabilisierungsanstalt einzurichten. Linke, Grüne, aber auch Ökonomen begleiteten die Abstimmung mit zum Teil heftiger Kritik.
Schon am kommenden Montag soll die Anstalt in Frankfurt am Main arbeitsfähig sein. Dann kann sie Anträge von Bankinstituten annehmen, die staatliche Garantien oder Mittel brauchen, um ihre Geschäfte fortzuführen. Nachdem Bundestag und Bundesrat gestern das Gesetz beschlossen haben, will das Bundeskabinett bis Montag die notwendige Rechtsverordnung fertigstellen.
Regierung und Parlament beeilen sich, weil sie befürchten, dass sonst die Finanzkrise weiter fortschreitet und Banken zusammenbrechen. Um das zu verhindern, bietet die große Koalition angeschlagenen Finanzinstituten nun staatliche Bürgschaften von insgesamt 400 Milliarden Euro. Damit sollen die Institute gegenseitige Kredite absichern. Zusätzlich verfügt der Finanzmarktstabilisierungsfonds, der der Anstalt untersteht, über 80 Milliarden Euro, mit denen sich der Staat an notleidenden Banken beteiligen kann. 65 Prozent der Kosten trägt der Bund, 35 Prozent gehen zu Lasten der Länder, maximal jedoch 7,7 Milliarden Euro.
Trotz ihrer scheinbar klaren Antwort auf die Krise, stößt die große Koalition mit dem in der jüngeren deutschen Geschichte einmaligen Maßnahmenpaket auf scharfe Kritik. Diese bezog sich nicht zuletzt auf die Machtfülle, die die Bundesregierung nun innehat. „Wir wollen die Mitentscheidung des Bundestages“, rief Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen, in ihrer engagierten Rede. Sein traditionelles Budgetrecht hat das Parlament angesichts der Finanzkrise jedoch weitgehend aufgegeben. Sowohl über die Anstalt, als auch die Politik des Fonds entscheidet im wesentlichen die Regierung, die die meisten Mitglieder der Leitungsgremien beider Einrichtungen benennt.
Auch darüber, welche Bank der Fonds mit welchen Mitteln unterstützt, darf der Bundestag nicht befinden. Das bestimmen die Anstalt und der Fonds allein. Die Abgeordneten der großen Koalition haben sich freilich das Recht ausbedungen, in einem neuen Unterausschuss des Bundestages regelmäßig informiert zu werden.
Welche Bedingungen die Banken erfüllen müssen, um Geld zu erhalten, ist ebenfalls Sache des Fonds. „Das ist ein Blanko-Scheck über 500 Milliarden Euro“, ärgerte sich Künast. Im Gesetz steht zwar, dass die Bundesregierung den Banken bestimmte Pflichten als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung auferlegen kann. Dazu gehört die Kappung der Managergehälter auf 500.000 Euro und die Begrenzung der Dividende. Ob derartige Einschränkungen tatsächlich umgesetzt werden, bleibt freilich wiederum der Regierung, der Anstalt und dem Fonds überlassen.
Ähnliches gilt für die Frage, wer die möglichen milliardenschweren Verluste der Rettungsaktion trägt. Union und SPD haben die Regierung aufgefordert, „einen Weg zu suchen“, um die Kosten den Banken aufzubürden. „Wir haben das Verursacherprinzip eingeführt“, sagte SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider. Ob es dazu tatsächlich kommt, wird allerdings erst die Zukunft zeigen. Torsten Albig, Sprecher von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), mochte gestern nicht darüber nachdenken, wie ein solcher Weg aussehen könnte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnt in diesen Tagen oft eine neue „Architektur der Finanzmärkte“ an. Doch auch dies ist ein bislang offener Punkt. Daran, dass die Bundesregierung zusammen mit anderen Staaten neue Verhaltensregeln für Banken festlegen müsse, um eine ähnliche Krise für die Zukunft zu verhindern, erinnerte gestern der SPD-Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger: „Für Medikamente gibt es aufwändige Tests, bevor sie auf den Markt kommen. Warum nicht für Finanzprodukte?“
Auch außerhalb des Parlaments wurde Kritik geäußert. Hans-Werner Sinn, der Chef des Münchener Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, bezweifelte, dass Banken sich dem Fonds anvertrauen würden, wenn ihre Vorstände als Gegenleistung auf den Großteil ihres bisherigen Gehaltes verzichten müssten. In der Tat hat sich bislang noch kein Institut gemeldet, dass die Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Für Steinbrücks Sprecher Albig wäre das eher eine gute Nachricht. Eine wesentliche Aufgabe des Rettungsfonds bestehe darin, sagte er, ein grundsätzliches Gefühl der Sicherheit zu verbreiten – unabhängig von der möglichen Unterstützung einzelner Institute.