„Konsum für eine Minderheit“

Wirtschaftsweiser Peter Bofinger kritisiert das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung

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Von Hannes Koch

13. Nov. 2009 –

Hannes Koch: Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Guido Westerwelle haben dem Bundestag ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz vorgelegt. Hält das Vorhaben, was es verspricht?

Peter Bofinger: Dieses Gesetz ist Ausdruck der in unserer ganzen Gesellschaft vorherrschenden Mentalität des schnellen Geldes. Alle fragen sich nur, wie die Bürger möglichst schnell möglichst viel Geld vom Staat bekommen können, keiner denkt mehr  an die Zukunft. Was hilft es dem Wachstum, wenn der Staat die Mehrwertsteuer für Hotels senkt? Ähnlich sieht es beim höheren Kindergeld und Kinderfreibetrag aus. Es wäre zehnmal besser, das Geld in die Schulen und Kindertagesstätten zu investieren. Dort könnte man damit tatsächliche Verbesserungen finanzieren und wirkliche Investitionen für die Zukunft tätigen. Eine Regierung, die den Leuten nur Geld in die Taschen steckt, ignoriert die Zukunftsaufgaben.

Koch: Mit dem Gesetz will Schwarz-Gelb das Wachstum anregen. Kann das funktionieren?

Bofinger: Beim Sachverständigenrat haben wir noch nicht einmal ausgerechnet, welchen Wachstumsbeitrag das Gesetz auslöst. Seine Wirkung bleibt, zurückhaltend ausgedrückt, sehr begrenzt. Was sicher stattfindet: Bezieher höherer Einkommen profitieren vom höheren Kinderfreibetrag und werden davon den größten Teil sparen.  

Koch: Aber auch Geringverdiener erhalten höheres Kindergeld. Halten Sie das Gesetz trotzdem für sozial unausgewogen?

Bofinger: Ja. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Gutverdiener mehr Geld für ihre Kinder bekommen sollten, als Bürger mit mittleren oder kleinen Einkommen. Genau das aber ist das Ergebnis des höheren Kinderfreibetrages. Diesen Ansatz der Koalition halte ich für grundfalsch. Wenn der Staat schon Schulden macht, sollte er das Geld voll in Bildung investieren – nicht in den Konsum einer Minderheit.

Koch: Indem sie die Steuern für Gutverdiener, Unternehmen und Erben senkt, möchte die Koalition die so genannten Leistungsträger anspornen. Ein tauglicher Versuch?

Bofinger: Im historischen Vergleich liegt die Einkommensteuer schon jetzt sehr niedrig. Nur im Jahr 2005 war er geringer als heute. Unter Bundeskanzler Kohl betrug der Spitzensteuersatz 56 Prozent. Heute sind es 45 Prozent. Ich weiß nicht, wo das Problem liegen soll. Wohlhabende und Reiche strengen sich doch nicht mehr an, weil sie noch ein paar hundert Euro zusätzlich auf dem Konto haben.

Koch: Welche Maßnahmen schlagen Sie der Regierung stattdessen vor?

Bofinger: Sie sollte die niedrige Abgeltungsteuer von 25 Prozent abschaffen und die Kapitalerträge wieder der normalen, höheren Einkommensteuer unterwerfen. Es ist wirtschaftspolitisch sinnlos, Sparen in diesem Maße zu fördern und damit die Investitionstätigkeit zu beeinträchtigen. Was wir brauchen, sind Investitionen in den Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen. Die sollte man unterstützen, indem man die Abschreibung erleichtert.

Koch: Wie beurteilen Sie die Absicht der schwarz-gelben Koalition, die Sozialbeiträge der Unternehmen einzufrieren und die Beiträge der Beschäftigten für die Pflege und die Krankenversicherung einseitig zu erhöhen?

Bofinger: Das ist das Gegenteil von dem, was die Regierung tun müsste. Sie bricht damit auch ihr Versprechen. Wollte sie ihrer Ankündigung „mehr netto vom brutto“ für normale Arbeitnehmer gerecht werden, sollten die Sozialabgaben sinken, nicht steigen.

Koch: Mit etwas Pech wachsen alleine die neuen Schulden des Bundes nächstes Jahr in Richtung 100 Milliarden Euro. Wie wollen Sie angesichts dessen niedrigere Sozialabgaben finanzieren?

Bofinger: Indem wir neu über die Steuer- und Finanzpolitik nachdenken. Es ist eine grundsätzliche Fehlentscheidung, Vermögen und Kapital dermaßen zu begünstigen, wie es in Deutschland geschieht. Selbst marktliberale Länder wie die USA und Großbritannien nehmen dabei das Drei- beziehungsweise Vierfache der hiesigen Erträge ein. Im Vergleich zu Großbritannien verschenkt Deutschland damit rund 70 Milliarden Euro pro Jahr.

Bio
Peter Bofinger (55) lehrt und forscht als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit 2004 ist er Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einer der fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung ökonomisch beraten.

Info
In seinem am Freitag veröffentlichten Jahresgutachten schätzt der Sachverständigenrat das Wirtschaftswachstum 2010 auf 1,6 Prozent. Diese angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise erstaunlich optimistische Annahme kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die durchschnittliche Zahl der Arbeitslosen wahrscheinlich knapp vier Millionen und das gesamte Staatsdefizit rund 125 Milliarden Euro (5,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts) erreicht.

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