Kunstfleisch aus dem Labor?
Pro & Contra
18. Jan. 2018 –
Pro von Hannes Koch
Ökologisch und ethisch besser
Die heutige Fleischproduktion ist überwiegend nicht nachhaltig. Für den Konsum von Schnitzel, Wurst und Leberkäse gilt das Gleiche. Und die Probleme werden eher größer als kleiner, denn der weltweite Fleischkonsum nimmt zu – eine Begleiterscheinung wachsenden Wohlstands in China und anderen Staaten. Den Menschen den Verzehr von Fleisch auszureden, dürfte dennoch schwierig werden. Es schmeckt – schlicht und einfach. Außerdem erscheint fleischbetonte Ernährung vielen Zeitgenossen als Beleg sozialen Aufstiegs. Will man beides – Fleischkonsum und Nachhaltigkeit – miteinander verbinden, könnte die Züchtung von Kunstfleisch im Labor ein gangbarer Weg sein.
Die ökologischen und teilweise auch sozialen Schäden der gegenwärtigen Fleischproduktion sind kaum noch zu übersehen. Beispielsweise in Südamerika drängen Viehweiden und Felder für den Anbau von Tierfutter den Regenwald zurück. Dieses Produktionsmuster steht mitunter auch in Konkurrenz zur Herstellung anderer Nahrungsmittel für die Menschen. Wo Rinder weiden oder Futterpflanzen wachsen, kann man kein Getreide anbauen, mit dem sich viel mehr Leute versorgen lassen. In Europa hingegen erzeugen die Betriebe der industriellen Massenviehhaltung so viel Gülle und andere Abfälle, dass die Qualität der Wasserversorgung ernsthaft gefährdet ist.
Die Produktion von Kunstfleisch in Bioreaktoren steht zwar noch am Anfang. Aber man kann beobachten, dass der Ausstoß von Treibhausgasen und der Landverbrauch bei weniger als einem Zehntel der konventionellen Fleischherstellung liegen. Problematischer sieht es dagegen beim Wasser- und Stromverbrauch aus. Gerade der Energiehunger der Labore ist beträchtlich. Das muss sich ändern. Wird es wahrscheinlich auch. Wie bei jeder Technik ist mit Fortschritten der Produktivität zu rechnen.
Wenig lässt sich derweil über die Gefahren des Zuchtfleisches für die menschliche Gesundheit sagen. Sollten sie existieren, müssen sie grundsätzlich ausgeschlossen werden. Das klappt in der konventionellen Lebensmittelproduktion ja auch. Bundesdeutsche Verbraucher können sich daher auch künftig darauf verlassen, dass die Nahrungsmittel sicher sind, von Unfällen und kriminellem Missbrauch abgesehen.
Ein entscheidender Vorteil von Kunstfleisch liegt im ethischen Bereich: Man muss keine Tiere mehr töten. Die Zellen, aus denen das artifizielle Gewebe wächst, werden lebenden Tieren entnommen. Es heißt, dass sich das schmerzfrei machen lässt. Der Verbrauch von Tieren lässt sich auf diese Weise drastisch verringern.
Ohne Nachteile kommt jedoch auch diese Ernährungsvariante nicht daher. Vermutlich stellen nicht Landwirte das Kunstfleisch her, sondern Unternehmen der Lebensmittelindustrie. Konzerne würden einen weiteren Bereich der menschlichen Ernährung in den Griff bekommen. Das kann man als Preis des Konzeptes betrachten, vielleicht einen notwendigen.
Contra von Wolfgang Mulke
Klonfleisch der Konzerne
Der technische Fortschritt löst die großen Menschheitsprobleme. Der Glaube daran ist weit verbreitet. Auch die Welternährung wird nach Ansicht dieser Optimisten in absehbarer Zeit durch neue Technologien gesichert. Danach ist Kunstfleisch das Mittel gegen Landverschwendung, Klimaerwärmung und Massentierhaltung. Dabei stehen die Forschungen noch am Anfang und die ersten Ergebnisse sind nicht gerade verheißungsvoll.
Ausgerechnet den Gentechnik und Manipulationen aller Art skeptisch gegenüber stehenden deutschen Konsumenten soll das Steak aus der Retorte schmackhaft werden? Das ist alles andere als realistisch. Erzeugt würden diese Lebensmittel durch eine künstliche angeregte Zellvermehrung. Es handelt sich praktisch um Klonfleisch. Da müssen sich die Marketingexperten schon viel einfallen lassen, wenn sie dafür die Werbetrommel erfolgreich rühren wollen.
Auch ethisch ist die Bulette aus der Petrischale zweifelhaft. Denn zur Herstellung werden Zellen lebendiger Tiere benötigt. Es mag sein, dass deren Leid geringer ist als das der zur Schlachtung gezüchteten Rinder oder Hühner. Doch schmerzhaft ist auch dieser Prozess. Zudem entfremdet eine technisierte Nahrungsmittelproduktion den Menschen noch weiter von seinen natürlichen Lebensgrundlagen.
Kunstfleisch, wenn es erst einmal großen Mengen hergestellt werden kann, wird wohl vor allem in Ländern mit geringerer Kaufkraft eine Chance haben. Die Wohlhabenden der Welt werden lieber auf das natürliche Pendant zurückgreifen. Damit sind auch die ökologischen Effekte in Frage gestellt. Diese könnten ohnehin weitaus geringer ausfallen als gerne gepriesen. Denn der Stromverbrauch bei der Erzeugung von Muskelfleisch ist beträchtlich. Wie ein echtes Tier wird auch das Kunstfleisch nur durch energiehaltige Nährstoffe wachsen.
Geradezu gruselig wird die Idee einer weltumspannenden Versorgung mit Labornahrung in Hinblick auf die sich damit verändernden ökonomischen Machtverhältnisse. Die Entwicklungen sichern sich nur wenige Unternehmen durch Patente ab. Im schlimmsten Fall bestimmen neue 'Monsantos' dann einen wesentlichen Teil der Nahrungsmittelversorgung. Wer glaubt, dass es für den Konsumenten ein guter Tausch gegen die herkömmliche, weit verstreute Landwirtschaft wäre, ist naiv. Vielmehr drohen in diesem Fall übermächtige Oligopole, deren Gewinninteresse über dem der Verbraucher steht.
Noch sind die beschriebenen Risiken Zukunftsmusik. Und auch die Investoren sind noch vergleichsweise vorsichtig. Zwar konnte ein Startup für Ersatz-Burger schon mal gut 100 Millionen Euro bei Großanlegern einwerben. Doch im Vergleich zu weitaus langweiligeren Geschäftsmodellen ist das ein überschaubarer Betrag. Ein Berliner Internetportal für Gebrauchtwagen bekam gerade fast eine halbe Milliarde Euro zugesagt.