Leber aus dem 3D-Drucker

Nachgebaute Organe sind Milliardenmarkt

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Von Björn Hartmann

23. Feb. 2024 –

Auf dem Gesundheitsmarkt bahnt sich eine Revolution an. Weltweit arbeiten Forscher daran, menschliche Organe nachzubauen – Leber zum Beispiel oder Bauchspeicheldrüse. Für viele schwer kranke Menschen, die bisher auf Spender angewiesen sind, wäre das die Rettung. Für Unternehmen öffnete sich ein neuer Milliardenmarkt. In einem Wettbewerb von Sprind, der Innovationsagentur des Bundes, treten jetzt vier europäische Teams an, um bis Herbst zu zeigen, was möglich ist.

Sanft summt die Lüftung im Labor, 3. Stock, Bayer-Gelände in Berlin-Wedding. Hier steht der 3D-Drucker, mit dem Cellbricks schon heute Leber in Teilen nachdruckt. Das Unternehmen gehört zu den Teilnehmern des Wettbewerbs. Geschäftsführer Joachim von Arnim steht im weißen Kittel mitten im kleinen Raum und beobachtet, wie ein Kollege mit Pipette den Drucker vorbereitet. „Was im Menschen 18 Jahre gewachsen ist, wollen wir in 180 Minuten nachbauen“, sagt er. „Wir haben bereits im Labor gezeigt, dass sich Organe in Teilen nachdrucken lassen und dann wachsen. Jetzt zeigen wir, dass unsere gedruckten Elemente auch in Lebewesen funktionieren.“

Die Anforderungen sind hoch. „Die Organe müssen sicher sein, dürfen dem Menschen nicht schaden. Sie dürfen keine Immunreaktion auslösen. Sie sollen natürlich funktionieren. Und sie müssen in der entsprechenden Größe verfügbar sein“, beschreibt Jano Costard das Ziel. Er ist bei Sprind für den Wettbewerb verantwortlich.

Tissue Engineering, Gewebezucht, heißt eine Reihe von Verfahren, mit denen Organe nachgebaut werden können. Eines dieser Verfahren ist lichtbasierter 3D-Druck. Dafür nötig sind menschliche Zellen, etwa von der Leber und von Blutgefäßen, die künstlich vermehrt werden, sowie etwas, das die Zellen später zusammenhält. Cellbricks verwendet selbst entwickelte „vegane Gelatine“. Weil die Zellen genetisch programmiert sind, Blutbahnen oder Leber zu werden, bilden sich im gedruckten Leberstück dann zum Beispiel neue Blutgefäße aus – vorausgesetzt, die Bedingungen stimmen, etwa die Temperatur.

Die Experten im Cellbricks-Labor haben die Gewebestruktur der Leber am Computer nachgebaut und drucken eine Art ideale Leber. Wobei streng genommen nicht gedruckt wird, die menschlichen Zellen sind zu empfindlich für Düsen klassischer Drucker. Das Gerät im Labor belichtet die flüssigen Zellmischungen. Dort, wo das Licht hinkommt, härtet die Flüssigkeit aus. Für ein Stück Leber sind mehrere belichtete Schichten nötig, von denen jede etwa 20 Tausendstel Millimeter dick ist.

Gedruckt werden kann alles, was auf die Druckerschalen passt, die fast das Format einer Postkarte haben. Auf jeden Fall ist Cellbricks auf Größeres eingestellt. „Mit unserem patentierten Verfahren lassen sich Organe im industriellen Maßstab drucken“, sagt von Arnim. Soweit ist es aber noch nicht. Die Berliner drucken keine komplette Leber, zu groß, zu kompliziert. Die Experten bauen ein kleines Stück nach. Wird es dann an eine echte Leber transplantiert, wächst es mit ihr zusammen. Ein beschädigtes Organ könnte sich dann selbst wieder erneuern.

Weil die Verfahren aufwändig sind, menschliche Zellen ein sehr genaues Umfeld brauchen, etwa 37 Grad Temperatur, und der Körper eben doch sehr komplex, gibt es bisher nur Laborversuche. Und es gibt nur wenige Firmen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Einige Konkurrenten von Cellbricks etwa sitzen in den USA und Israel. Beim Sprind-Wettbewerb sind die Berliner das einzige Unternehmen. Die drei anderen Wettstreiter kommen aus der Forschung.

ZonalCartHT ist ein Team aus Experten der Universitätsklinikum Heidelberg und dem Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden. Sie entwickeln Knorpelersatz aus einem Trägermaterial und Stammzellen. Die Idee: Statt ganze Gelenke auszutauschen, lässt sich die Funktion auch wiederherstellen, wenn die Knorpel zwischen den Knochen ersetzt werden.

Drei Forscher aus Paris arbeiten daran, mit menschlichen Zellen große transplantierbare Muskeleinheiten zu entwickeln. Sie nutzen ein Eisguss genanntes Verfahren für das Trägermaterial. Ein Team der Universität Utrecht in den Niederlanden arbeitet ähnlich wie Cellbricks daran, Organteile in 3D zu drucken. In diesem Fall geht es um die Bauchspeicheldrüse. Das gedruckte Material kann Insulin produzieren – Rettung für viele Diabetiker, denen diese Funktion fehlt.

Bis September haben die vier Teams Zeit, zu beweisen, dass sie die Technik im Griff haben und das künstliche Organ im Tierversuch funktioniert. Dafür bekommen die Teams jeweils 500.000 Euro. „Danach können wir die Projekte weiterfinanzieren“, sagt Sprind-Koordinator Costard, „müssen es aber nicht.“ In der zweiten Stufe stehen für zwei Monate weitere 200.000 Euro je Team zur Verfügung, um sich auf klinische Studien vorzubereiten. „Da gilt es, hohe regulatorische Hürden zu nehmen, bevor die Produkte am Menschen getestet werden können“, sagt Costard. Im November ist dann Schluss. „Am Ende des Wettbewerbs wollen im Idealfall private Investoren Geld in die Projekte stecken. Wir als Sprind können aber auch weiter unterstützen.“

Bei Cellbricks sind sie jedenfalls äußerst optimistisch. Das patentierte Druckverfahren funktioniert auch mit anderen Zellarten: Herz oder Brust zum Beispiel. Entsprechend groß formuliert Geschäftsführer von Arnim die Vision es Unternehmens, das 2016 aus der Technischen Universität Berlin ausgegründet wurde: „In jedem großen Krankenhaus der Welt steht in Zukunft ein Drucker, der menschliches Gewebe nachbauen kann.“

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