„Maximaler Gewinn ist verantwortungslos“

Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann über den Atomkonzern Vattenfall und das öffentliche Vertrauen in Unternehmen

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Von Hannes Koch

09. Jul. 2009 –

Koch: Der Stromkonzern Vattenfall bedauert, durch die Unfälle im Atomkraftwerk Krümmel die Zustimmung der Öffentlichkeit verloren zu haben. Warum ist Vertrauen für Unternehmen so wichtig?


Ulrich Thielemann: „Vertrauen“ bedeutet hier eigentlich Akzeptanz und Unterstützung durch Anspruchsgruppen der Gesellschaft, die für die Gewinnerzielung wichtig sind. Wenn das Vertrauen fehlt, dann drohen Demonstrationen, Klagen vor Gericht oder eine restriktivere Politik. Und dies schmälert den Gewinn.


Koch: Wie verliert ein Unternehmen das Vertrauen der Bevölkerung?


Thielemann: Indem es sich einigermaßen grober Verfehlungen schuldig macht, die für jeden leicht erkennbar sind. Bei komplexeren Vergehen kommt man also leichter durch. Verantwortungsvolle Unternehmen fragen allerdings nicht danach, wie sie das Vertrauen zurückerobern können. Sie fragen vielmehr danach, worin eine ethisch verantwortungsvolle Geschäftspolitik im Einzelnen besteht und handeln natürlich entsprechend. Das verdiente Vertrauen kommt dann von allein.


Koch: Bei Vattenfall muss man immer damit rechnen, dass in den Atomkraftwerken irgendetwas daneben geht. Reparaturen werden nicht richtig ausgeführt, und der Öffentlichkeit Informationen vorenthalten. Verhält sich der Konzern - einfach gesagt – verantwortungslos?


Thielemann: Mir fehlen die Informationen, um das im Einzelfall zu beurteilen. Klar ist allerdings: Sollte die Gewinnmaximierung an oberster Stelle der Unternehmenspolitik stehen, würde die Firma die Sicherheit von der Rentabilität abhängig machen. Die Rentabilität darf aber nicht das wichtigste Ziel eines Unternehmens sein.


Koch: Wie bitte? Gewinn wird in der Marktwirtschaft doch als vornehmliches Firmeninteresse definiert.


Thielemann: Nein, das ist ein verbreiteter und gefährlicher Irrtum. Im Gegenteil sagt das deutsche Aktienrecht sinngemäß, dass das Management große Spielräume genießt, um eben nicht alleine auf die Rentabilität schauen zu müssen. Der Gewinn ist nur eines von mehreren Zielen. Im übrigen kann man auch gute Gewinne erzielen, ohne alles daran zu setzen, dass die Gewinne so hoch wie möglich sind.


Koch: Im Vergleich zum rabiaten Wirtschaftsleben erscheint diese Theorie ein wenig veraltet.


Thielemann: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in der Tat eine Art des Wirtschaftens in den Vordergrund geschoben, die den Gewinn absolut setzt, ihn maximiert. Es gibt da eine neue ökonomistische Radikalität im Management, die mit den betriebswirtschaftlichen Lehrbuchweisheiten ernst macht. Eine Erscheinungsform sind die so genannten Heuschrecken. Demgegenüber muss man hart sagen: Wer die Interessen der Aktionäre vorzieht, verletzt zumindest im Geiste deutsches Recht. Wenn ein Unternehmen einseitig im Hinblick auf das Gewinninteresse geführt wird, enden wir beim Recht des Stärkeren.


Koch: Tuomo Hatakka, der Europa-Chef von Vattenfall, betont nun, neues Vertrauen erwerben zu wollen. Wie kann ihm das gelingen?


Thielemann: Grundvoraussetzung ist, dass die Unternehmen dem Prinzip der Gewinnmaximierung abschwören. Keinem Konzern kann es gelingen, beide Ziele gleichzeitig zu erreichen – höchsten Gewinn und Berücksichtigung der legitimen Interessen der Bevölkerung. Manager, die behaupten, das würde funktionieren, sagen die Unwahrheit. Immer mehr Bürger merken intuitiv, dass hinter den schön klingenden Stellungnahmen andere Motive stehen. Statt durch Spenden für Kultur und Sport von der eigentlichen Geschäftstätigkeit abzulenken und sich so seine Reputation zu erschleichen, würde es die Redlichkeit eigentlich verlangen, sich etwa mit den stärksten Kritikern auseinanderzusetzen. „Vertrauen“ kann immer nur verdientes Vertrauen bedeuten. Und dieses verdient man sich durch wahrhaftige Integrität.


Koch: In der Theorie der Unternehmensverantwortung gewinnen solche Ideen inzwischen eine größere Bedeutung. Warum spielen sie praktisch kaum eine Rolle?


Thielemann: Sie spielen durchaus eine Rolle, aber eine noch zu geringe. Wir stehen am Anfang des Prozesses einer neuen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Bürgern, bei der diese von jenen wahrhaftige Integrität einfordern. Doch wird dem Management-Nachwuchs an den meisten Universitäten noch immer vor allem beigebracht, wie sich der Gewinn für die Aktionäre steigern lässt. Die Botschaft lautet: Was sich rentiert, ist auch vernünftig.


Koch: Würde eine neue Unternehmensethik praktiziert, sänke der Gewinn der Aktionäre. Würden die Investoren sich das gefallen lassen?


Thielemann: Wahrscheinlich nicht. Deshalb brauchen wir auch eine neue Rahmenordnung der Wirtschaft. Die Unternehmensverfassung müsste pluralistisch ausgestaltet werden. In den Aufsichtsräten dürften nicht nur die Vertreter des Kapitalseite und der Beschäftigten sitzen, sondern auch Umweltverbände, Bürgerrechtsgruppen und Verbraucherschützer. Selbstverständlich würde dies heute alles nur auf globaler Ebene funktionieren können. Darum fordert Angela Merkel ja eine Weltwirtschaftsordnung - damit wir eine „menschliche Marktwirtschaft“ bekommen.



Ulrich Thielemann (Jg. 1961) ist Vize-Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen in der Schweiz

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