Mindestlohn wird zum Modell

Millionen Beschäftigte sind inzwischen durch Lohnuntergrenzen geschützt – und die Zahl wächst. Auch 600.000 Altenpflegerinnen bekommen bald einen Mindestlohn. Weitere Branchen werden folgen

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Von Hannes Koch

23. Mär. 2010 –

Die Verhandlungsführer haben ihre Pressemitteilungen bereits vorbereitet. Wenn der Mindestlohn in der Altenpflege beschlossen wird, wollen die Sozialverbände die Erklärungen sofort verschicken. Darauf, dass es bereits morgen (Donnerstag, 25.3.) soweit sein könnte, deutet einiges hin. „Es sieht nicht danach aus, dass es schiefgeht“, sagte einer der Verhandler gegenüber dieser Zeitung. Behält er Recht, sind bald 600.000 Altenpflegerinnen und Pfleger in Deutschland durch einen Mindestlohn geschützt.


Die Lohnuntergrenze wird vorläufig bei gut 8,50 Euro pro Stunde liegen. Vereinbaren wollen die evangelische Diakonie, die katholische Caritas, die privaten Heimbetreiber, weitere Verbände, sowie die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di aber auch einen Stufenplan, damit die Untergrenze nach und nach ansteigt.


Alle Betreiber von Pflegeheimen und ambulanten Diensten in ganz Deutschland sind dann künftig an diesen Tarif gebunden, alle Beschäftigten haben im Gegensatz zu heute ein einklagbares Recht auf den Mindestlohn. Gegenwärtig kommt es oft vor, dass Pflegerinnen nur fünf oder sechs Euro pro Stunde erhalten, in Ostdeutschland vielfach noch weniger.


Am Donnerstag treffen sich die Tarifparteien der Altenpflege zu ihrer wahrscheinlich letzten Sitzung. Danach prüft der Tarifausschuss beim Bundesarbeitsministerium den Vorschlag. Stimmt auch dieser erweiterte Kreis aus Verbänden und Gewerkschaften zu, wird Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklären. Selbst die notorisch regulierungsfeindliche FDP hat in Gestalt von Gesundheitsminister Philipp Rösler ihre Zustimmung erteilt.


In den vergangenen Wochen hatten bereits 800.000 Gebäudereiniger, 80.000 Dachdecker und 180.000 Wachleute Mindestlöhne erhalten. Zusammen mit der Baubranche und einigen anderen kleineren Branchen schützen die Lohnuntergrenzen nun etwa 2,5 Millionen Beschäftigte.


Und weitere Branchen kommen bald hinzu. Diese Woche noch wollen die kleinen Christlichen Gewerkschaften den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und die Branchenverbände auffordern, einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsfirmen zu vereinbaren. Dort arbeiten rund 800.000 Beschäftigte.


In der vergangenen Legislaturperiode war der allgemeinverbindliche Mindestlohn in der Zeitarbeit noch am Widerstand der Union gescheitert. Denn es gab zwei konkurrierende Tarifverträge. Die CDU berief sich auf den niedrigen Tarif, den die Christlichen Gewerkschaften mit dem Arbeitgeberverband AMP abgeschlossen hatten. Die SPD dagegen wollte den höheren Mindestlohn des DGB und der beiden großen Verbände BZA und IGZ durchsetzen.


Nach neuen Verhandlungen liegen die Mindestlohn-Vorschläge beider Seiten nun jedoch auf ähnlicher Höhe – 7,60 Euro pro Stunde im Westen und rund 6,50 Euro im Osten. Gemeinsamen Gesprächen, die von der Leyen fordert, stünde nichts im Wege, wenn auch der DGB mitmachen würde. Noch aber weigert sich die große Gewerkschaft. DGB-Vorstand Reinhard Dombre ist sauer auf die kleinen Konkurrenzorganisationen, die ihn jahrelang genervt haben. Das allerdings wird sich ändern. Dem allgemeinverbindlichen Mindestlohn in der Zeitarbeit wird sich der DGB am Ende nicht verweigern.


Der Grund für die allgemeine Bewegung ist einfach zu benennen: Er hängt vor allem mit einem schlichten Termin zusammen: Ab dem 1. Mai 2011 herrscht Freizügigkeit für die meisten Arbeitnehmer der Europäischen Union. Dann dürfen Beschäftigte aus Polen, der Slowakei, den baltischen Staaten und anderen Ländern problemlos in Deutschland arbeiten. Damit wird die Konkurrenz gerade in einfachen, ohnehin schlecht bezahlten Tätigkeiten zunehmen.


Um Billigkonkurrenz aus dem Osten zu erschweren, werden sich die Tarifpartner deshalb nicht nur in der Zeitarbeit zusammenraufen. Neue Vereinbarungen über Mindestlöhne stehen auch im Einzelhandel und bei der Post auf der Tagesordnung. Schließlich würden damit rund sechs Millionen Beschäftigte in Deutschland durch Lohnuntergrenzen abgesichert - etwa 15 Prozent aller Erwerbspersonen.

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