Moralische Selbstregulierung für Wirtschaftsforscher
Die größte deutsche Ökonomen-Organisation beschließt erstmals einen Ethik-Kodex
11. Sep. 2012 –
Mit einem neuen Ethik-Kodex will die deutsche Ökonomenzunft künftig Fehlverhalten von Wissenschaftlern erschweren. So sollen die Wirtschaftsforscher bei Veröffentlichungen von Studien und Aufsätzen ihre Finanzquellen und möglichen Interessenkonflikte darlegen.
Den Ethik-Kodex hat der Verein für Socialpolitik während seiner bis Mittwoch dauernden Mitgliederversammlung verkündet. Die große Mehrheit der Mitglieder hatte ihn in einer Urabstimmung angenommen. Der 1873 gegründeten Institution gehören rund 3.800 Ökonomen an – die meisten von ihnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Mit den neuen Verhaltensregeln reagiert der Verein auf Missstände, die während der Finanz- und Schuldenkrise seit 2008 verstärkt zutage traten. Unter anderem geht es darum, dass Wissenschaftler ihre Auftraggeber und die Herkunft ihrer Finanzmittel nicht benennen. Mitunter kann die Öffentlichkeit deshalb nicht erkennen, dass es sich um interessengeleitete Forschung im Auftrag von Unternehmen oder Verbänden handelt, nicht um unabhängige Wissenschaft.
Beispielsweise fertigte der New Yorker Professor Frederic Mishkin 2006 eine Studie an, in der er Island als vorteilhaften Finanzplatz lobte. Finanziert hatte die Veröffentlichung unter anderem die isländische Handelskammer. Dies erwähnte der Wissenschaftler aber nicht. Einige Jahre später brach die Wirtschaft des Landes infolge übertriebener Finanzspekulation zusammen. Aus solchen Vorkommnissen zog die US-Ökonomen-Vereinigung bereits Anfang des Jahres die Konsequenzen und formulierte schärfere Verhaltensregeln.
Der Kodex des Vereins für Socialpolitik fordert nun „Transparenz, Objektivität, Unabhängigkeit und Fairness“ von allen Mitgliedern. Vor allem wird empfohlen, die jeweiligen Voraussetzungen wissenschaftlicher Arbeiten deutlich zu machen. Dies betrifft beispielsweise die Annahmen, die die Ökonomen ihren Forschungen zugrunde legen. Außerdem sollten sie nicht nur die „Finanzierungsquellen angeben“, sondern die „Infrastruktureinrichtungen“ und die „sonstige externe Unterstützung“, die sie in Anspruch genommen haben.
Um diese und andere Regeln durchzusetzen, will der Verein einen Ethikbeauftragten und eine Ethikkommission berufen. Sanktionen für Fehlverhalten stehen zwar nicht im Kodex, aber Vereinsvorsitzender und Humboldt-Professor Michael Burda hält zumindest den Ausschluss von Missetätern aus der altehrwürdigen Organisation für erwägenswert.
Fraglich allerdings erscheint, ob der Kodex weit genug reicht. Bei einzelnen Studien und Aufsätzen mögen die Wissenschaftler zwar ohne die finanzielle Unterstützung von Wirtschaftsverbänden oder Interessengruppen auskommen. Trotzdem aber werden viele Lehrstühle auch an deutschen Universitäten zu hohen Anteilen durch so genannte Drittmittel beispielsweise von Unternehmen finanziert.
Diese millionenteuere Förderung im Hintergrund kann die Unabhängigkeit der Wissenschaft untergraben, meint Sebastian Dullien, Professor der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Wäre der Verein für Socialpolitik konsequent, müsste er die Ökonomen auch verpflichten, ihre Drittmittel und Vortragshonorare offenzulegen, sagt Dullien.