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Nestlé will jetzt zu den Guten gehören

Mit gesunder Kost und Wohlfühlprodukten will der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt kräftig wachsen. An den Produkten der Schweizer kommt auch in Deutschland kaum ein Konsument vorbei.

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Von Wolfgang Mulke

07. Apr. 2017 –

 

Die Aktionäre auf der Hauptversammlung von Nestlé bekamen an diesem Donnerstag in Lausanne ein seltenes Ereignis mit. Nach 50 Jahren im Unternehmen gab der 72-jährige Peter Brabeck-Letmathe sein letztes Amt als Präsident des Verwaltungsrates auf. Und auch einen neuen Vorstandschef konnten die Anteilseigner erstmals live erleben. Der Deutsche Ulf Mark Schneider lenkt seit Jahresbeginn die Geschicke des weltgrößten Nahrungsmittelkonzerns. Er kommt von Fresenius, einem Chemieunternehmen.

Chemie und Essen. Beides hängt eng zusammen. Denn der Lebensmittelriese will „zum führenden Unternehmen für Ernährung, Gesundheit und Wellness“ werden, wie es Brabeck-Letmathe zum Abschied hervorhob. Nach 150 Jahren will der Konzern das Image als Produzent von zu fetten, zu süßen und zu salzigen Fertigwaren abstreifen. Das hat einen handfesten wirtschaftlichen Grund. Die Gewinnmargen bei gesundheitsorientierten Nahrungsmitteln sind höher als bei den konventionellen Waren.

Als Konsument in Deutschland kommt man kaum an den Produkten der Schweizer vorbei, die sich unter etlichen Markennamen im Supermarkt finden. Fertiggerichte von Maggi zählen dazu, Caro-Kaffee, Thomy-Senf, Nudeln von Buitoni oder Wagner-Pizza. Das Edel-Mineralwasser San Pellegrino gehört zum Angebot wie jede Menge Süßwaren und Frühstücksflocken. 3.500 Produkte von Nestlé sind auf dem hiesigen Markt erhältlich. Rund 3,5 Milliarden Euro setzt die deutsche Tochter des Marktführers jährlich um.

Umstritten ist das Unternehmen aus vielerlei Gründen. Schon in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geriet Nestlé in die Schlagzeilen, weil der Konzern in afrikanischen Ländern verstärkt Milchpulver als Ersatz der Muttermilch anpries. Da es vor Ort häufig an der notwendigen Bildung im Umgang mit dem Ersatz gab, und es oft auch an sauberen Wasser zum Mischen fehlte, kam es zu Erkrankungen der Kinder. In späteren Jahren wurde der Vorwurf laut, Nestlé setze Regierungen unter Druck, die ein Werbeverbot für Milchpulver durchsetzen wollten. Auch beim letzten Milchpulverskandal in China 2008, als durch Melamin-verseuchte Milch Hunderttausende Babys erkrankten, fiel der Name Nestlé. In Proben aus Hongkong wurde der Krankmacher entdeckt, laut Nestlé allerdings in unbedeutenden Mengen.

Entwicklungsorganisationen bemängelten immer wieder eine fehlende soziale und ökologische Verantwortung des Konzerns. Kritisch sehen sie zum Beispiel das Wassergeschäft, weil es den Zugang von Menschen zu sauberem Trinkwasser einschränken könnte. Denn die Schweizer sicherten sich Rechte am Wasser in trockenen Regionen.

Verbraucherschützer monieren wiederum, dass die Fertigmahlzeiten des Nahrungsmittelriesen zu fettig oder zu zuckerhaltig sind. Mit einem Vorstoß für die Lebensmittelampel wollte Nestlé gemeinsam mit fünf weiteren globalen Nahrungsmittelherstellern diesem Urteil etwas entgegensetzen. Dabei handelt es um eine Kennzeichnung in den Farben rot, gelb und grün, die leicht erkennbar anzeigen soll, ob ein Produkt gesund ist oder darauf eher verzichtet werden kann. Doch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) entdeckte prompt einen erheblichen Schwachpunkt des Vorschlags. Die Konzerne wollten die Kennzeichnung auf eine Portionsgröße beziehen, nicht auf eine vergleichbare Menge wie 100 Gramm. „Der Vergleich des Nährstoffgehalts verschiedener Lebensmittel wird sogar erschwert und kann in die Irre führen“, kritisierte vzbv-Chef Klaus Müller. Denn die Größe einer Portion sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Das schlechte Image wollen die Schweizer abstreifen. So kündigte Nestlé vor einigen Wochen an, dass der Zuckergehalt in den Produkten durchschnittlich um fünf Prozent gesenkt wird. Der Salzgehalt wurde bis zum Ende des vergangenen Jahres schon um gut zehn Prozent vermindert. „Die Menschen auf der ganzen Welt wollen ein gesünderes Leben führen“, glaubt Vorstandschef Schneider.

Technologisch ist Nestlé mittlerweile in der Lage, Schokolade mit 40 Prozent weniger Zucker herzustellen. „Das ist der Forschungsstand in unserem Haus“, sagt der Deutschland-Sprecher des Konzerns, Alexander Antonoff. Die Entwicklung gesunder Lebensmitteln, die trotzdem den Geschmacksmustern der Verbraucher entsprechen, ist aufwändig. In einem Labor am Bodensee wird zum Beispiel an den Rezepturen für die weltweit verkauften Maggiprodukte gearbeitet.

Nicht mehr Kalorien, sondern „bessere“ Kalorien seien im wohlhabenden Teil der Welt gefragt, erläutert Brabeck-Letmathe den neuen Kurs von Nestlé. Vegetarische Fertiggerichte sind ein Beispiel für diese Strategie. Gemeinsam mit dem Elektronik-Konzern Samsung wird eine Gesundheitsplattform entwickelt, die Verbrauchern Tipps für einen gesunden Lebens- und Ernährungstil bietet, zum Beispiel das Essen auf den Gehalt von Salz, Zucker, Fett oder Nährstoffe hin analysiert. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll ein „digitales Ernährungsprofiling“ entstehen, das die Nährstoffaufnahme berechnen und daraus abgeleitet individualisierte Empfehlungen geben kann.

Darüber hinaus konzentriert sich Nestlé auf Spezialernährung, mit der Krankheiten entgegengewirkt werden kann, etwa Diätprodukte für Diabetiker. Mit Angeboten rund um die Gesundheit erhofft sich das Unternehmen eine Rückkehr zu kräftigen Wachstumsraten. Allein die Erlöse aus medizinischer Ernährung und Hautpflege sollen sich auf längere Sicht auf rund neun Milliarden Euro mehr als verdoppeln.

Nötig sind solche Wachstumsphantasien. Die Umsatzentwicklung ließ in den letzten Jahren zu wünschen übrig. Weltweit erwirtschaftete Nestlé 2016 mit fast 330.000 Beschäftigten rund 84 Milliarden Euro. Knapp acht Milliarden Euro blieben als Gewinn übrig. Ursprünglich peilte der Vorstand ein stetes Wachstum zwischen fünf und sechs Prozent im Jahr an. Im vergangenen Jahr kam mit 3,2 Prozent zwar auf dem Papier noch ein ordentliches Plus heraus. Doch Währungseffekte fraßen alleine die Hälfte des Zuwachses wieder auf. Und bis die Zielmarke wieder erreicht wird, dauert es noch Jahre, wie der neue Vorstandschef Schneider weiß. Dennoch bleiben die Schweizer auch so vor Coca-Cola die Nummer Eins unter den Lebensmittelkonzernen der Welt.

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