Neue Gerechtigkeitslücke bei Hartz IV

Bundesregierung plant Reform des Arbeitslosengeldes: Das steigt dann eventuell schneller als die Rente. Arbeitsministerin von der Leyen muss die Preissteigerung bei Konsumgütern besser berücksichtigen

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Von Hannes Koch

02. Aug. 2010 –

Seit Hartz IV vor fünf Jahren eingeführt wurde, gilt das Arbeitslosengeld II vielen Bundesbürgern als Inbegriff der sozialen Ungerechtigkeit. Nun hat diese Debatte auch die Berliner Regierungskoalition erreicht. Union und FDP diskutieren darüber, ob man den Regelsatz von heute 359 Euro erhöhen sollte, oder ob dies schädliche Wirkungen mit sich brächte.


„Ich warne davor, die Hartz-IV-Sätze entsprechend der Inflation anzuheben“, sagte CSU-Sozialexperte Max Straubinger gegenüber dieser Zeitung. Dies hätte zwei Nachteile, meinte der CSU-Politiker: Zum einen könnte sich durch das höhere Arbeitslosengeld der Anreiz für Arbeitslose verringern, eine neue bezahlte Stelle zu suchen. Zweitens dürfe man die Arbeitslosen nicht gegenüber den Rentner bevorteilen, deren Altersbezüge nicht regelmäßig stiegen.


CDU-Sozialpolitiker Johann Wadephul sagte dagegen: „Ich würde höhere Regelsätze nicht ablehnen“. Die jährliche Preissteigerung sei durchaus ein Element, das die Lebenshaltungskosten von Erwerbslosen beeinflusse.


Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt gegenwärtig eine neue Berechnungsmethode für das Arbeitslosengeld II entwickeln. Dazu hatte sie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Februar 2010 verpflichtet. Die Richter hatten geurteilt, dass der Hartz-IV-Satz bisher „nicht sachgerecht“ festgelegt worden sei.


Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes müssten erwachsene Hartz-IV-Empfänger einen Regelsatz von rund 420 Euro im Monat erhalten, um ihre Lebenshaltungskosten bestreiten zu können. Zu einem ähnlichen Ergebnis kämen Vergleichsrechnungen des Bundesarbeitsministeriums, berichtet der Spiegel. Ein Sprecher von der Leyens dementierte allerdings am Montag, dass bereits belastbare Zahlen vorlägen. Die genaue Berechnungsmethode werde man erst „im Herbst“ ausarbeiten. Bis zum 31. Dezember diesen Jahres müsse das Gesetz fertig sein.


Die Frage ist nun, wie die neue Berechnung aussehen soll. Bislang basierte die Definition des Regelsatzes auf der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes. Weil diese nur alle paar Jahre aktualisiert wird, ziehen die Experten zwischendurch die Entwicklung der Altersrenten als Maßstab heran. Unter anderem die Orientierung an den Renten hatte das Verfassungsgericht aber als „sachwidrig“ kritisiert.


Ein Grund: In der Rentenberechnung ist unter anderem der so genannte Nachhaltigkeitsfaktor enthalten, der die Rentenerhöhung schmälert, wenn die Zahl der Beschäftigten sinkt. Dieser Nachhaltigkeitsfaktor habe mit den Lebenshaltungskosten von Erwerbslosen nichts zu tun, erklärten die Verfassungsrichter.


Sie empfahlen stattdessen, die Regelsätze stärker an den Lebenshaltungskosten, also auch die Preissteigerungen für Konsumgüter zu binden. Je nachdem, wie die Bundesregierung diese Vorgabe umsetzt, könnte dies dazu führen, dass das Arbeitslosengeld II künftig stärker zunimmt als die Alterssicherung. In diesem Jahr beispielsweise stagnieren die Rentenzahlungen. Und auch in den kommenden Jahren wächst die Rente möglicherweise nur wenig, weil mehrere dämpfende Faktoren in der Rentenformel die Erhöhung begrenzen.


Um diesen neuen, für die Regierung problematischen Gerechtigkeitskonflikt zu befrieden, sagt CSU-Sozialpolitiker Straubinger: „Ich plädiere dafür, die Anknüpfung an die Renten beizuhalten. Um dem Urteil des Verfassungsgerichts Rechnung zu tragen, könnte man aber den Nachhaltigkeitsfaktor aus der Berechnung herausnehmen“. Dann würde Hartz IV eventuell etwas schneller zunehmen als die Rente, aber nicht so stark wie bei der kompletten Abschaffung der Bindung.


Info-Kasten I

Kinder und Hartz-IV

Kinder in Hartz-IV-Familien sollen „Teilhabegutscheine“ vom Amt erhalten, um damit kostenlos an Sport- und Bildungsveranstaltungen teilzunehmen. Mit dieser Reform der Hartz-Reform will Arbeitsministerin von der Leyen das Bildungsdefizit in armen Familien bekämpfen.


Info-Kasten II

Ausgaben

Um Mehrausgaben bei Hartz IV infolge des Verfassungsgerichtsurteils zu finanzieren, hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) 480 Millionen Euro für 2011 zusätzlich in den Haushaltsplan aufgenommen. Dieser Betrag wird kaum ausreichen, wenn die Sätze auf 400 Euro oder ähnliche Summen steigen sollten.

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