„Nicht auf den Mindestlohn konzentrieren“

Nur eine Lohnuntergrenze für die Beschäftigten im Einzelhandel zu definieren, sei der falsche Weg, sagt Erich Harsch, Geschäftsführer von dm-drogerie markt. Der gesamte Tarifvertrag müsse Gesetzeskraft erhalten

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Von Hannes Koch

14. Apr. 2010 –

Hannes Koch: Herr Harsch, Ihr Unternehmen dm-drogerie markt gilt als sozial engagiert. Eigentümer Götz Werner propagiert das bedingungslose Grundeinkommen für alle. Sie aber wenden sich dagegen, einen Mindestlohn für Verkäuferinnen und Regaleinräumer festzulegen. Warum?


Erich Harsch: Die Gewerkschaft Ver.di und der Handelsverband peilen einen Mindestlohn an, den Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen für alle Unternehmen in Kraft setzen soll. Diese Initiative ist nicht ausreichend und geht deshalb in die falsche Richtung. Man darf sich nicht auf das Minimum der Bezahlung konzentrieren. Von tausend Euro im Monat kann eine Familie ja nicht vernünftig leben. Stattdessen sollten wir die Einkommen so gestalten, dass die Beschäftigten ein solides Auskommen haben. Wir plädieren daher dafür, den gesamten Entgelttarifvertrag inklusive der höheren Gehaltsstufen für allgemeinverbindlich zu erklären, nicht nur eine Untergrenze. Damit könnte man Lohndumping wirklich verhindern.


Koch: Befürchten Sie, dass höhere Tariflöhne absinken, wenn eine politisch definierte Untergrenze eingeführt würde?


Harsch: Das kann passieren. Der Mindestlohn übt einen Sog nach unten aus. Manche Unternehmen überlegen sich dann, ob sie mehr bezahlen müssen als das Minimum. Und das genau ist nicht Sinn der Sache. Eigentlich müssen wir ja weg von der Logik eines Existenzminimums, das nur das nackte Überleben sichert.


Koch: Welches ist der niedrigste Lohn, den dm seinen Beschäftigten zahlt?


Harsch: Bei dm erhalten die Mitarbeiter garantiert mindestens Tarif. Die untere Tarifgrenze für ungelernte Berufsanfänger liegt in Niedersachsen bei rund sieben Euro pro Stunde. Was dm betrifft, sind solche Löhne aber seltene Ausnahmen. Die weitaus meisten Beschäftigten erhalten viel mehr, weil sie gut ausgebildet oder langjährig bei uns tätig sind. Der Durchschnitt liegt bei uns bei zwölf bis 13 Euro pro Stunde.


Koch: Falls es zu einem allgemeinverbindlichen Mindestlohn im Einzelhandel kommen sollte, wird dieser eventuell bei acht Euro liegen. Wenden Sie sich gegen eine solche Untergrenze, weil auch dm dann manchen Beschäftigten mehr zahlen müsste?


Harsch: Nein, das ist nicht der Punkt. Unser Anliegen ist es, vernünftige Löhne durchzusetzen, nicht Niedriglöhne. Wenn alle mehr bezahlten, würde das keinen Nachteil darstellen, und es wäre außerdem gut für das Image des Handels.


Koch: Die Wirklichkeit geht in die andere Richtung. Viele Firmen drücken die Löhne und bieten ungeregelte Jobs an. Um diesen Verfall zu bremsen, ist der Mindestlohn ein realistisches und politisch durchsetzbares Mittel. Die Forderung, den gesamten Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, klingt dagegen ziemlich illusorisch.


Harsch: Nein, das glaube ich nicht. Billiganbieter, die ihre Beschäftigten schlecht behandeln, haben keine Zukunft. Denn die Verbraucher legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit im Wirtschaften und vernünftige Arbeitsbedingungen. Wer gegen diese neue Einkaufskultur verstößt, wird von den Konsumenten bestraft. Die Dinge werden gut, glauben Sie mir!


Koch: Hoffen wir das Beste. Andererseits haben zweifelhafte Billigketten wie Schlecker, Lidl und KiK jahrelang Marktanteile gewonnen. Auch Lohndumping führt unter bestimmten Umständen zum Erfolg.


Harsch: Viele Billiganbieter verfolgen die Strategie, niedrige Preise mit schlechten Arbeitsbedingungen zu erwirtschaften. dm macht das anders. Wir erhöhen die Produktivität, indem wir beispielsweise in die Ausbildung und Motivation unserer Beschäftigten investieren. Dann kann man auch auskömmliche Löhne zahlen und trotzdem günstige Preise anbieten. Das sollte die Politik unterstützen.


Bio-Kasten

Erich Harsch (Jg. 1961) arbeitet seit Mai 2008 als Vorsitzender der Geschäftsführung von dm-drogerie markt. Mit fünf Milliarden Euro Umsatz und 1.700 Filialen ist das Unternehmen einer der Marktführer.


Info-Kasten

Mindestlohn

Mindestlöhne sollen verhindern, dass die Bezahlung der Beschäftigten zu weit absinkt. Unter bestimmten Umständen kann die Bundesregierung eine Untergrenze festlegen. Eine Voraussetzung ist in der Regel, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften sich zuvor auf einen gemeinsamen Mindestlohn geeinigt haben. Für die 2,6 Millionen Beschäftigten des Einzelhandels streben das der Handelsverband und die Gewerkschaft Ver.di an. Weil ab Mai 2011 Arbeitnehmer aus Polen und anderen EU-Staaten ohne Beschränkungen in Deutschland arbeiten können, bekommt die Debatte jetzt eine neue Dynamik. Die CDU ist bereit, Mindestlöhne in einigen Branchen festzusetzen, die FDP lehnt das eher ab.

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