• Holger Schmieding |Foto: Berenberg
    Holger Schmieding |Foto: Berenberg

„Noch ein Jahr bis zum Ende der Krise“

Für neue Anleihekäufe der EZB plädiert Berenbank-Chefökonom Holger Schmieding

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Von Hannes Koch

05. Sep. 2012 –

Hannes Koch: Herr Schmieding, Sie plädieren dafür, dass die EZB wieder Schuldscheine kriselnder Staaten kauft - beispielsweise Spaniens. Würde die Notenbank durch diese Geldflut nicht die systematische Entwertung des Euro auslösen?

Holger Schmieding: Nein, überhaupt nicht. Augenblicklich droht die Geldpolitik der EZB wirkungslos zu verpuffen. Die Lage in Europa wird zunehmend prekär: Selbst die deutsche Wirtschaft befindet sich auf dem Weg in die Rezession. Das internationale Vertrauen in den Euro schwindet, die Stabilität der gemeinsamen Währung ist bedroht. In dieser brenzligen Ausnahmesituation muss die EZB die Vertrauenskrise an der Stelle bekämpfen, von der die Unruhe ausgeht – also an den Anleihemärkten.

Koch: Als Herausgeberin unseres Geldes kann die EZB grundsätzlich unbegrenzte Summen einsetzen und dafür jede Menge Staatsanleihen erwerben. Die große Nachfrage würde die Zinsen senken, die die Staaten privaten Investoren bieten müssen. Wäre die Euro-Krise damit vorbei?

Schmieding: Die Zentralbank kann die Krise nicht lösen. Dafür müssen vornehmlich die Regierungen ihre Haushalte sanieren und die Arbeitsmärkte konkurrenzfähiger machen. Die Aufgabe der EZB ist es lediglich, Zeit für diese Reformen zu kaufen. Sie muss dafür sorgen, dass der Euro nicht zwischenzeitlich in einer eskalierenden Vertrauenskrise vor die Hunde geht.

Koch: Scheitert die Euro-Rettungspolitik von Kanzlerin Angela Merkel, die das Sparen und Sanieren betont?

Schmieding: Grundsätzlich ist diese Politik richtig. Nur in Griechenland wird sie vielleicht etwas zu scharf betrieben. Es dauert immer seine Zeit, bis ein Land die Früchte seiner Sparbemühungen ernten kann. Das war auch in Deutschland so. Hier begann die Sanierung 2003, aber erst vier Jahre später gelang es, den Haushalt annähernd auszugleichen. Wir sollten also etwas Geduld haben mit den Krisenländern. Hier kann die EZB helfen, indem sie notfalls auch mit Anleihekäufen die Zeit überbrückt für jene Staaten, die nachweislich auf Reformkurs sind.

Koch: Die Handelsdefizite der südlichen Euro-Staaten sinken, die Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu. Sind das Anzeichen, dass die Wirtschaft dort bald wieder wächst?

Schmieding: Ja, die Reformen machen erhebliche Fortschritte. Wenn wir diesem Prozess noch etwas Zeit geben, können wir mit einem richtigen Aufschwung rechnen. Die Haushaltsdefizite im Süden werden dann deutlich zurückgehen und die Beschäftigung stark zulegen. Bis zum Ende der akuten Krise, bis zur Erholung dauert es wahrscheinlich noch sechs Monate, vielleicht auch ein Jahr. Wesentlich ist, dass wir diese Strecke durchhalten. Dafür, dass wir den Stürmen standhalten können, muss auch die EZB sorgen.

Koch: Schon jetzt ist zu viel Geld auf dem Markt. Die Anleihekäufe der EZB verschärfen das Problem. Deswegen könnte die Inflationsrate in den kommenden Jahren steigen. Müssen wir mit vier Prozent oder mehr rechnen?

Schmieding: Nein, weder in Deutschland noch in Europa gibt es gegenwärtig eine echte Inflationsgefahr. Die Banken vergeben sogar weniger Kredite an Privathaushalte und Unternehmen. Deswegen bleibt die Geldmenge konstant. Die Firmen produzieren weniger, als sie könnten. In den Krisenländern sinken die Löhne, in vielen anderen Ländern sind sie stabil. Nur Deutschland macht mit etwas höheren Zuwächsen eine Ausnahme. Insgesamt herrscht kein Überschuss an Geld, der preistreibend wirkt. Einzig im Bankensystem registrieren wir zur Zeit eine hohe Liquidität. Aber das liegt daran, dass Banken in unsicheren Zeiten mehr Mittel brauchen. Nichts deutet darauf hin, dass es in Europa bald zu einem inflationären Kaufrausch kommen könnte.

Koch: Möglicherweise erleben wir keinen flächendeckenden Anstieg der Preise, aber Blasen in einzelnen Segmenten des Marktes, etwa bei Immobilien. Die zunehmenden Wohnungspreise und Mieten in vielen deutschen Städten sind schon jetzt ein Problem.

Schmieding: Weil viele professionelle Investoren und private Kapitalbesitzer das Vertrauen in den Euro verlieren, ziehen sie ihr Geld beispielsweise aus Spanien ab und verlagern es nach Deutschland und in die Schweiz. Diese Kapitalflucht trägt dazu bei, deutsche Immobilien und Staatsanleihen zu verteuern. Die Ursache ist die Suche der verunsicherten Anleger nach sicheren Anlagen, nicht aber eine vermeintlich zu laxe Geldpolitik der Notenbank.

Koch: Soweit man das überhaupt einschätzen kann: Werden die Inflationsraten 2020 und 2030 höher sein als heute?

Schmieding: Wahrscheinlich nicht. Aber die Zeit der sinkenden Inflationsraten seit Anfang der 1980er Jahre ist vorbei. Ein Grund: Der China-Effekt lässt nach. Bislang hat die chinesische Wirtschaft sehr billige Produkte exportiert und damit auch unsere Preise gedrückt. Mittlerweile jedoch entwickelt sich die Volksrepublik. Die Beschäftigten dort erhalten höhere Löhne. Für Deutschland kann das bedeuten, dass die Inflationsraten in den kommenden Jahren um zwei Prozent schwanken statt um 1,5 Prozent wie im vergangenen Jahrzehnt. Damit würde die EZB immer noch besser liegen als die Bundesbank, die uns im langjährigen Durchschnitt 2,9 Prozent Inflation beschert hatte.

Koch: Bundesbank-Chef Jens Weidmann argumentiert gegen weitere Anleihekäufe. Er pocht darauf, dass die EZB den Wert des Euro sichern und Inflation verhindern solle. Sie dagegen sagen, mit einer allzu harten Haltung könnten die Zentralbanken auf Dauer sogar ihr Mandat zu verletzen. Warum?

Schmieding: Die bisherige Geldpolitik hat nicht gewirkt. Deshalb muss die EZB jetzt am Anleihemarkt eingreifen. Täte sie das nicht, würde sie letztlich ihr Mandat verletzen. Schließlich besteht dieses darin, mit einer wirksamen Geldpolitik den Euro stabil zu halten. Dafür muss sie eben solche Instrumente einsetzen, die in der jeweiligen Lage der Geldpolitik Schlagkraft geben können. Aber wir sollten den Disput nicht hochstilisieren. Die Bundesbank betreibt keine Fundamentalopposition. Sie trägt trotz mancher Bedenken nahezu alle Maßnahmen der EZB mit. Ich würde es begrüßen, wenn das so bleibt.

Koch: Für die angebliche Rücktrittsdrohung Weidmanns haben Sie kein Verständnis?

Schmieding: Einen Rücktritt hielte ich für falsch. Ob er jemals darüber nachgedacht hat, weiß ich nicht. Selbst wenn man sich in einer bestimmten Sachdiskussion nicht durchsetzt, sollte man trotzdem möglichst das Gesamtergebnis mitgestalten. Wir brauchen den Bundesbank-Präsidenten als Mahner, Warner und Gestalter.

Koch: Entlässt man die verschuldeten Staaten nicht zu schnell aus dem Schwitzkasten, wenn die Zentralbank nun die Zinsen drückt und ihnen damit eine billigere Verschuldung ermöglicht?

Schmieding: Mit ihren Anleihekäufen würde die EZB nur solchen Staaten helfen, die nachweislich ein Spar- und Reformprogramm erfüllen. Auch nach einer Intervention durch die EZB wären die Zinsen noch so hoch, dass sie die Regierungen zum weiteren Sparen zwingen.

Koch: Für private Finanzinstitute wäre der Anleihekauf eine bequeme Lösung. Die Banken könnten die Staatspapiere Spaniens oder Italiens, die sie im Portfolio haben, an die EZB verkaufen und risikolos mit schönem Gewinn aus der Staatsfinanzierung aussteigen.

Schmieding: Die meisten Banken haben die Papiere ja einst zu weit höheren Kursen gekauft. Die EZB tut gut daran, nur dann einzugreifen, wenn Turbulenzen die Kurse auf sehr niedrige Niveaus gedrückt haben. Dann würden nahezu alle Anleger, die an die EZB verkaufen, Verluste einfahren. Dass es einzelne Ausnahmen geben würde, ist Teil des normalen Börsengeschehens. Als Gegenargument gegen eine sinnvolle Politik der EZB taugt dies aber nicht.

Info/Bio-Kasten
Holger Schmieding (54) leitet die ökonomische Analyse der Berenberg-Bank. Er sitzt in London. Das Institut aus Hamburg führt seine Geschichte bis ins Jahr 1590 zurück. Nach eigenen Angaben ist es damit das älteste private Bankhaus Deutschlands.

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