Oma und Opa sind indirekte Produktionsfaktoren

Serie: Familie und Zukunft

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Von Wolfgang Mulke

03. Jan. 2012 –

Die ursprüngliche Bedeutung des Familienbegriffs im alten Rom war recht umfassend. Zum Clan gehörten damals nicht nur Eltern, Großeltern und Kinder. Auch das Personal und die anderen Hausbewohner zählten dazu. Der Blick auf Deutschland zeigt einen mehrfachen Wandel, zum Beispiel den von der bürgerlichen Großfamilie über die Konstellation Eltern und Kinder bis hin zu den heute häufig anzutreffenden Patchwork-Verbünden, bei denen die Eltern nach der Trennung mit neuen Partner zusammenleben.


Wie stark sich die Lebensweise verändert hat, zeigt ein Vergleich von 1970 und 2009 des Statistischen Bundesamts. Vor 40 Jahren lebten in mehr als 60 Prozent der Haushalte Kinder. Nur 13 Prozent Singles verzeichnet die Zählung. Heute lebt ein Drittel der Bevölkerung allein und der Anteil der Familien mit mehreren Kindern ist auf rund 13 Prozent abgesackt.


Vor allem der gleichzeitige Trend zu mehr Alleinerziehenden ist sowohl sozialpolitisch als auch volkswirtschaftlich bedenklich. 1,6 Millionen Mütter und Väter übernehmen solo die Verantwortung für den Nachwuchs. Sie sind einem deutliche höherem Armutsrisiko ausgesetzt als Paare. Laut OECD werden 36 Prozent der armutsgefährdenden Haushalte von Alleinerziehenden geführt. Bei Paaren mit zwei Kindern liegt der Anteil nur bei acht Prozent. Die Rahmenbedingungen für Alleinerziehende sind offenkundig schlecht. Das ist auch wirtschaftlich schädlich, weil insbesondere Frauen mit Kind trotz oft guter Ausbildung die Möglichkeit fehlt, sich ein ausreichendes Einkommen zu erarbeiten.


Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), Jutta Allmendinger, sieht in der noch vergleichsweise geringen Frauenerwerbstätigkeit noch viele verschenkte Potenziale. Immerhin 5,6 Millionen Frauen sind nicht berufstätig. „Diese Frauen bleiben zuhause, weil sie nicht die Rahmenbedingungen vorfinden, die sie brauchen“, stellt die Forscherin fest. Die Betreuung der Kleinkinder ist für sie eines der wichtigsten Hürden zu einer stärkeren Erwerbsbeteiligung. Im Bundesdurchschnitt sei nur jedes fünfte Kind unter drei Jahren in einer Kita. Beim Schlusslicht Nordrhein-Westfalen gibt es nur für jedes neunte einen Platz.


Neben der Betreuung sieht Allmendinger auch in der besseren Bezahlung von Frauen durch die Unternehmen eine Lösung des Problems. Auch müssten sich Firmen von der häufig vorherrschenden Anwesenheitskultur verabschieden und wenn nötig selbst für eine Kinderbetreuung sorgen. Ohne derlei Zugeständnisse werden Unternehmen nach Einschätzung der Forscherin nur schwer ihren Fachkräftebedarf dauerhaft decken können.


Derzeit sind die jungen Familien und Alleinerziehende auf die Hilfe anderer angewiesen, wenn sie Karriere und Erziehung unter einen Hut bringen wollen. Deshalb ist ein neuer Typus von Familie auf dem Vormarsch. Freunde, Verwandte und vor allem die Großeltern übernehmen zeitweilig die Betreuung der Kinder. „Multilokale Mehrgenerationenfamilie“ nennt der Philosoph Richard David Precht diese Entwicklung, bei der Freunde oder Oma und Opa zupacken, damit die Eltern ihrem Job nachgehen können. „Viele Familien würden ohne Großeltern überhaupt nicht funktionieren“, glaubt Precht. Auch die Wirtschaft könnte ohne die private Neuorganisation nicht in gewünschten Maße auf so viel gut ausgebildetes Personal bauen. So sind Oma und Opa auch aufgrund ihrer oft noch großen Fitness in späten Jahren zu einem indirekten Produktionsfaktor geworden.






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