Pillen-Blockbuster aus Deutschland

Wie Pharmafirmen am Standort D Hightech-Arzneien entwickeln

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Von Björn Hartmann

28. Okt. 2023 –

Auch in diesem Herbst wird wieder über Medikamentenknappheit diskutiert. Es fehlen Antibiotika und Fiebersäfte. Dabei hat die hiesige Pharmabranche deutlich mehr zu bieten. Firmen forschen an Medikamenten gegen Alzheimer, Krebs, Sehverlust, entwickeln innovative Heilverfahren. Der Standort ist im internationalen Wettbewerb immer noch vorn dabei. Aus Deutschland kommen vielleicht keine Massenmedikamente mehr, dafür aber zahlreiche Hightech-Arzneien.

In den vergangenen zehn Jahren entstanden unter anderem Medikamente gegen Diabetes Typ 2 (Altersdiabetes) und damit verbundene Herz-Kreislaufprobleme, gegen Lungenkrebs, Knorpeldefekte, Schuppenflechte und Brustkrebs in Deutschland sowie nicht zuletzt der wesentliche Impfstoff gegen das Corona-Virus. Auch das Verhütungspflaster ist eine maßgeblich deutsche Erfindung.

Alle diese Medikamente werden international verkauft, zum Teil mit Umsätzen jenseits der Milliardengrenze – sogenannte Blockbuster. Aus Deutschland gingen 2022 Arzneimittel im Wert von 101,64 Milliarden Euro ins Ausland, das entspricht rund 6,5 Prozent aller deutschen Exporte. In der Branche arbeiteten 2022 fast 139.000 Beschäftigte in mehr als 600 pharmazeutischen Unternehmen. „Die pharmazeutische Industrie in Deutschland ist stark mittelständisch geprägt“, sagt Matthias Wilken Geschäftsführer für Märkte und Versorgung des Pharmaindustrieverbands BPI. „Viele Arzneimittel der Grundversorgung werden von kleinen oder mittleren Unternehmen produziert.“

Bekannt sind jedoch vor allem Traditionsunternehmen wie Bayer, Boehringer Ingelheim, Merck und neue Firmen wie Biontech. Letztere ist zwar bekannt für den Corona-Impfstoff, arbeitet aber hauptsächlich an therapeutischen Impfstoffen gegen Krebs. Sie sollen verbunden mit anderen Medikamenten das Immunsystem des Menschen so anregen, dass es selbst gegen Tumorzellen vorgeht. Ansätze bisher versuchen, diese Zellen mit einem Medikament auszuschalten. Biontech arbeitet mit mRNA, einer Art Plan, nach der die menschliche Zelle dann die Abwehr zum Beispiel des Coronavirus baut. Bei dieser innovativen Technik ist Deutschland nach Angaben des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) international besonders stark, sowohl bei der Forschung an Medikamenten als auch in der Herstellung.

Arzneimittel zu entwickeln, dauert und ist teuer. Von der Idee bis zum fertigen Medikament rechnet die Branche im Schnitt mit 13,5 Jahren. Die Wirkstoffe müssen entdeckt und im Labor geprüft werden. Dann werden sie in drei verschiedenen Phasen getestet, zuletzt in aufwendigen klinischen Studien an sehr vielen Kranken in mehreren Krankenhäusern. Die Studien sollen zeigen, dass das Medikament auch wirklich hilft und die Nebenwirkungen im Rahmen bleiben. In der Regel schafft es nur eins von zehn Medikamenten an den Markt. Die Entwicklungskosten bezifferten die Berater von Deloitte zuletzt auf durchschnittlich rund 2,3 Milliarden Dollar (2,2 Milliarden Euro).

Ist das Medikament am Markt, verdienen die Konzerne Geld. So setzte Boehringer Ingelheim allein mit dem Diabetes-Medikament Jardiance im vergangenen Jahr 5,8 Milliarden Euro um, Bayer mit dem Blutgerinnungshemmer Xarelto 4,52 Milliarden Euro. Dabei bleibt einiges an Gewinn übrig. Doch irgendwann läuft der Patentschutz aus, bis dahin muss ein Ersatzprodukt entwickelt werden. Sonst steckt ein Unternehmen in Schwierigkeiten. Deshalb gehört Pharma zu jenen Branchen, die besonders viel investieren.

Boehringer Ingelheim steckte im vergangenen Jahr 4,58 Milliarden Euro in Forschung der Pharmasparte, Bayer 3,4 Milliarden Euro, Merck 1,7 Milliarden Euro. Insgesamt sind es in der deutschen Branche 16,5 Prozent des Umsatzes. Das Geld fließt aber nicht alles nach Deutschland. „Die pharmazeutische Industrie ist global aufgestellt. Die großen deutschen Hersteller forschen und produzieren inzwischen auch im Ausland. Umgekehrt betreiben viele Konzerne aus anderen Ländern Forschung und Werke in Deutschland“, sagt Wilken.

So hat der der Schweizer Pharmakonzern Roche in Mannheim seinen drittgrößten Standort weltweit, produziert auch Medikamente gegen Krebs am Rhein. Der US-Konzern Abbvie im benachbarten Ludwigshafen arbeitet unter anderem an Medikamenten gegen Alzheimer und Parkinson. Und eines der Topmedikamente des Unternehmens gegen Schuppenflechte stammt ebenfalls aus deutscher Forschung – Boehringer hat es entwickelt. Die französische Sanofi forscht in Frankfurt. Der Stifterverband hat ausgerechnet, dass die gesamte Branche 2021 allein in Deutschland 8,54 Milliarden Euro ausgab.

Doch der Pharmastandort D leidet. „Deutschland hat Stärken, bleibt aber hinter seinen Möglichkeiten“, sagt ein Manager, der nicht zitiert werden möchte. Unter den nach Umsatz größten Pharmakonzernen der Welt findet sich mit Bayer das erste deutsche Unternehmen auf Rang 6. Davor liegen vier US-Konzerne und die Schweizer Roche. Pfizer, die Nummer 1, ist fast doppelt so groß wie Bayer.

Und auch bei klinischen Studien hat Deutschland verloren. Die Bundesrepublik lag mal auf Rang zwei hinter den USA. Inzwischen haben China, Großbritannien und Spanien überholt, wie es beim VFA heißt. Papierkram bremst. So dauert es bis zu einem Jahr, bis eine Studie genehmigt ist, zudem wird jede Studie einzeln ausgehandelt. Andere Länder arbeiten mit Standardverträgen.

Und dann ist da noch die Politik. Aus Sicht der Branche ginge da deutlich mehr als bisher. Eine Sorge: Jede Bundesregierung schraubt an den Regeln des Gesundheitssystems. Oder wie BPI-Manager Wilken es formuliert: „Die Forschung und Entwicklung an neuen Arzneimitteln sind sehr risikoreich. Stabile und verlässliche politische Rahmenbedingungen sind daher sehr wichtig.“

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