Piraterie lohnt sich offenkundig

Somalia entwickelt sich durch erpresste Gelder wirtschaftlich

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Von Wolfgang Mulke

21. Jul. 2010 –

Die Piraten vor der somalischen Küste helfen dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land wirtschaftlich etwas auf die Beine. Rund um die Kaperung von Frachter oder Tankern hat sich eine kleine Industrie herausgebildet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Ich sehe ein Geschäft für viele, nicht nur für Somalia“, sagt die Autorin der Studie, Anja Shortland.

 

Am meisten profitieren die Boat-Nepper selbst. Für eine erfolgreiche Kaperung kassiert jeder Pirat zwischen 10.000 und 15.000 Dollar. Bei einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 300 Dollar im Jahr ist der Job in der ansonsten von Arbeitslosigkeit geprägten Küstenregion am Horn von Afrika höchst attraktiv. Die Seeräuber bringen Schiffe in ihre Gewalt, verteilen die Seeleute an Land auf viele Haushalte und kassieren dann ein Lösegeld, das Shortland auf Beträge zwischen einer und fünf Millionen Dollar pro Schiff veranschlagt. Bei fast 50 derartigen Überfällen im vergangenen Jahr summieren sich die Einnahmen der Piraten auf geschätzte 120 Millionen Dollar.

 

Die Kriminalität auf See schafft auch an Land neue Arbeit. Es wird Wachpersonal für die gekaperten Frachter benötigt, Familien beherbergen gegen Entgelt Geiseln, Unterhändler und Übersetzer wickeln die Rückgabe der entführten Schiffe ab. Laut Shortland entwickeln sich mittlerweile weitere neue Märkte, zum Beispiel für Rinder oder Ziegen. Selbst eine positive Wirkung für die Umwelt springt durch die Gewalttäter heraus. Durch die Piratenpräsenz meiden Fischtrawler die Fanggründe vor Somalia und es wird weniger Giftmüll illegal im Meer entsorgt. „Die Fischgründe regenerieren sich“, beobachtet die Expertin. Damit entstehen für die heimischen Fischer neue Existenzchancen.

 

Aber auch im Ausland gibt es der Studie zufolge einen großen Gewinner. Shortland vermutet, dass die Versicherungen mit der Gefahr von Überfällen beste Geschäfte machen. 30.000 Dollar kostet die Police pro Passage vor Somalia. Da nicht einmal jedes Tausendste Schiff tatsächlich abgefangen wird, geht die Forscherin von beträchtlichen Gewinnen der Branche aus.

 

Profiteure anderer Art sind mit dem Schutz der internationalen Seefahrt beschäftigt. Die eingesetzte europäische Marineflotte verhinderte allein 2009 in 50 Fällen eine Kaperung. So bleibt der tatsächliche Schaden durch die Piraten überschaubar und die Expansion des Geschäftszweiges Seeräuberei verläuft gebremst. Denn mit dem erbeuteten Geld rüsten die Kriminellen ihre Boote und Waffenarsenale auf. Mittlerweile besteht eine Art Gleichgewicht zwischen Angreifern und Verteidigern. Selbst politische Vorteile kann Shortland entdecken. Die Macht der Piraten in Somalia trage dazu bei, dass islamische Terrorgruppen in Schach gehalten werden. „Von mir aus kann alles so bleiben wie es ist“, erläutert die Volkswirtin.

 

Eine Alternative zur kriminellen Entwicklung hat die Forscherin aber auch im Blick. Danach könnte die Staatengemeinschaft den Aufbau einer effizienten Küstenwache durch Somalia selbst finanzieren, statt der Marineeinsätze und der Schäden durch die Piraten. Lokale Clanchefs sollen für die notwendigen Strukturen aufbauen und kontrollieren. Sie seien die einzig existenten Machtzentren in Somalia, glaubt Shortland.

 

 

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