Plädoyer für den Rückzug vom Land

Soll man Dörfer in dünn besiedelten Regionen abbauen? Töpfer rät, Anspruch gleichwertiger Lebensverhältnisse aufzugeben

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Von Hannes Koch

09. Sep. 2013 –

Das Leben auf dem Land und in vielen kleinen Dörfern dürfte in den kommenden Jahrzehnten deutlich unbequemer werden. Wegen des Rückgangs der Bevölkerung sei die teure öffentliche Infrastruktur dort bald nicht mehr zu finanzieren. Auf diese Botschaften läuft die neue Studie hinaus, die das Nachhaltigkeitsinstitut von Klaus Töpfer und das Berlin-Institut für Bevölkerung am Montag vorstellten.

 

Wie könnte die Zukunft auf dem Lande aussehen? Der ehemalige Bundesumweltminister der CDU und sein Wissenschaftler-Kollege Reiner Klingholz entwickelten Perspektiven: Nicht mehr jede nötige neue Straße müsse angelegt werden. Große Kläranlagen würden abgebaut - die wenigen verbliebenen Dorfbewohner nutzen dann vielleicht Teiche hinter´m Haus für die Abwasseraufbereitung. Die nahen Schulen seien geschlossen, nur noch alle paar Tage komme der Lehrer vorbei, um Mathematik zu erteilen. Ansonsten gebe es ja auch „Teleunterricht“. Und Ärzte in modernen Praxen finde man dann auf dem Lande kaum noch – die Routineversorgung der alten Leute müssten „Praxisassistenten“ ohne medizinische Vollausbildung übernehmen.

 

Eine Horrorvorstellung? Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie in weiten Teilen Deutschlands eintreffen wird. Denn demografische Studien zeigen schon deutlich, in welchen ländlichen Regionen die Bevölkerung besonders stark zurückgehen wird: große Gebiete Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsen-Anhalts und Brandenburgs gehören dazu. Aber auch im alten Westen wird sich diese Entwicklung bemerkbar machen – etwa im nordrhein-westfälischen Sauerland, der Eifel, dem Hunsrück, der Südwest-Pfalz, dem Schwarzwald und der Schwäbischen Alb. Die Wissenschaftler sprechen sogar von „Wüstungen“: Das sind Dörfer, die aufgegeben und abgebaut werden.

 

Töpfer und Klingholz halten die Entwicklung für nahezu unausweichlich. Nicht nur gehe die Zahl der Deutschen zurück, und die jungen Leute zögen in die Städte. Hinzu trete ein ökonomischer Grund: „Die Infrastruktur wird unbezahlbar“, so Klingholz. Beispiel Buslinien: Wenn weniger Leute den Bus zwischen den Dörfern nutzen, lohnt sich sein Betrieb für das Verkehrsunternehmen des Landkreises nicht mehr. Exorbitante Fahrpreise kann man den Fahrgästen aber auch nicht zumuten. In der Konsequenz wird die Linie eingestellt.

 

Die Frage ist, was an ihre Stelle treten kann. Ingesamt versuchen die beiden Institute, die Vision eines „positiven Schrumpfungsprozesses“ zu entwerfen. Um den öffentlichen Nahverkehr zu ersetzen, sei es beispielsweise denkbar, dass private Pkw-Fahrer, die sowieso unterwegs sind, die an den ehemaligen Bushaltestellen wartenden Passagiere mitnehmen. Dafür allerdings, so Klingholz, müsse man ein paar rechtliche Änderungen einführen. Denn heute sei es für Privatfahrer schwierig, eine Transportlizenz zu erhalten, die es ihnen erlauben würde, Einnahmen durch die Verkauf von Fahrkarten zu erzielen.

 

„Positives Schrumpfen“: Für Töpfer und Klingholz ist das keine Schreckensvision, sondern ein realistischer Umgang mit den heute bereits absehbaren Fakten. Sie plädieren etwa für den Rückzug von Menschen und Infrastruktur aus Gegenden, die keine Chance mehr auf Wachstum haben. Im Interesse der Lebensqualität sei es dann besser, die verbleibenden Bürger näher an die Klein- und Großstädte heranzuholen. Dies allerdings setze ein tiefgreifendes Umdenken voraus, gab Töpfer zu bedenken. „Vielfalt statt Gleichwertigkeit“ solle das Motto der Zukunft lauten. Dies ist nicht weniger als der Rat, einen im Grundgesetz niedergelegten Anspruch zu revidieren. Dort heißt es noch, Ziel staatlichen Handelns sei es, „gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen“. Töpfer und Klingholz sagen dagegen, die Politik müsse sich angesichts des Bevölkerungsrückgangs eingestehen, dass eine ähnliche Versorgung mit Dienstleistungen wie in städtischen Zentren in vielen ländlichen Gegenden Deutschlands bald nicht mehr möglich sei.

 

Allerdings gilt dieses Plädoyer nicht für alle Landstriche. Durchaus können sich Regionen und Dörfer dem Trend erfolgreich entgegenstellen, erklären die Wissenschaftler. Dies seien einerseits Siedlungen, die für ihre Bewohner aus irgendwelchen Gründen attraktiv bleiben und Zuzug organisieren – beispielsweise, weil florierende Firmen vor Ort arbeiten oder dieser sich als Tourismuszentrum entwickele.

 

Zweitens gibt es natürlich die ländlichen Regionen, die mit Städten eine fruchtbare Symbiose eingehen – beispielsweise die Gemeinden und Landkreise um Freiburg, Stuttgart, Köln, Bonn, Münster, Hamburg, Berlin und München. Deren Bevölkerung mag sogar wachsen, weil das jeweilige Zentrum wie ein Magnet wirkt.

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