Pragmatisch und in Aufbruchstimmung

Studie bescheinigt Jugendlichen wachsendes politisches und gesellschaftliches Interesse. In den unteren sozialen Schichten kommt die Zuversicht aber nicht an. Mehr Angst vor Ausländerfeindlichkeit als vor Zuwanderung.

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Von Wolfgang Mulke

13. Okt. 2015 –

In Deutschland wächst wieder eine politisch engagierte Generation heran. "Wir reden von einer pragmatischen Generation im Aufbruch", sagt der Bielefelder Forscher Mathias Albert zu einem der zentralen Ergebnisse der Shell-Jugendstudie, die Einstellungen und Werte der unter 25-jährigen bereits seit 1953 regelmäßig erfragt. 41 Prozent der Jugendlichen bezeichnen sich als politisch aktiv. Von Parteien hält der Nachwuchs allerdings wenig. Auf der Vertrauensrangliste landen diese wie auch Banken, große Unternehmen und Kirchen auf den hinteren Rängen. "Häufige Aktivitäten sind der Boykott von Waren aus politischen Gründen und das Unterzeichnen von Petitionen", heißt es in der von Familienministerin Manuela Schwesig mit vorgestellten Studie.

 

Albert stellt einen Stimmungswandel fest. Die zurückliegenden Untersuchungen 2010 und 2006 zeichneten das Bild einer eher auf das eigene Wohl bedachten Jugend. Heute blickt sie mit Sorge und Engagement auf die Entwicklungen in der Welt. So hat die Kriegsangst zum Beispiel deutlich zugenommen. 2010 fürchteten sich 44 Prozent der Befragten vor einem Krieg in Europa, in diesem Jahr sind es 62 Prozent. Viele wünschen sich eine wichtige Rolle Deutschlands bei der Vermittlung in Konflikten. Ein militärisches Eingreifen lehnen sie aber ab.

 

Beim Umgang mit der Zuwanderung und mit Flüchtlingen teilt sich die Jugend des Landes in Ost und West. Fast jeder zweite Jugendliche in den neuen Ländern und Berlin wünscht sich weniger Zuwanderung. In den westlichen Bundesländern liegt dieser Anteil nur bei 35 Prozent. Der Trend geht jedoch in beiden Landesteilen hin zu einer offeneren Gesellschaft. 2006 plädierten noch 58 Prozent der Befragten für weniger Zuwanderung, heute sind es 37 Prozent. Einig sind sich Ost und West auch bei der Einschätzung von Ausländerfeindlichkeit. Fast jeder zweitet fürchtet sich davor. "Mich überrascht der Unterschied zwischen Ost und West nicht", sagt Schwesig, "weil er sich durch alle Generationen zieht."

 

Auf dem Rückzug sind auch manche materielle Werte. "Die persönliche Erfüllung ist wichtiger als die berufliche", erläutert Albert. Karrierechancen und ein hohes Einkommen rangieren bei den Erwartungen an das Berufsleben weit hinter der Hoffnung auf einen sicheren Arbeitsplatz, der Verwirklichung eigener Ideen und genügend Freizeit. Sehr hoch ist umgekehrt der Stellenwert der Familie, von Freunden und Partnerschaften. Für fast alle Jugendlichen sind dies die wichtigsten Werte. Der Kinderwunsch ist dagegen leicht rückläufig. Dies führt Albert unter anderem auf die Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Beruf und Erziehung zurück. Doch auch ein Leben als Single wird für viele attraktiver. 40 Prozent der jungen Männern kann sich ein glückliches Leben ohne Kinder vorstellen. Vor fünf Jahren waren es noch 35 Prozent. Bei den Frauen teilen nur 31 Prozent diese Auffassung, weniger als vor fünf Jahren.

 

"Sie sind verwurzelt, schätzen aber Handlungsfähigkeit", fasst Albert das Bild der Generation zusammen. 61 Prozent der Jugendlichen blicken optimistisch in ihre persönliche Zukunft, mehr als in den vorangegangenen Umfragen. Die Zuversicht hängt jedoch eng mit der sozialen Herkunft zusammen. Junge Menschen aus den unteren sozialen Schichten erwarten weitaus seltener eine positive Entwicklung ihres Lebens. Laut Albers ist der armutsbedingte Pessimismus seit längerer Zeit schon auf einem stabilen Niveau. Nur jeder fünfte dieser Gruppe ist rundweg guter Dinge in Hinblick auf seine Zukunft. "Wir müssen auf die schauen, die sich abghängt fühlen", fordert Schwesig.

 

 

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