Private Stromkunden zahlen mehr als nötig

Rund drei Milliarden Euro jährlich müssen Haushalte entrichten, weil Stromanbieter niedrigere Einkaufspreise nicht weitergeben, sagen die Grünen

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Von Hannes Koch

24. Aug. 2012 –

Die Strompreise steigen. Aber warum? Wirtschaftsminister Philipp Rösler sagt: Wegen der Energiewende. Die Grünen halten dieser Argumentation jetzt entgegen, dass die Energieversorger den Verbrauchern höhere Preise abknöpfen als gerechtfertigt. Etwa drei Milliarden Euro würden Kleinverbraucher jährlich zu viel bezahlen, heißt es in einem Gutachten, das die Grünen im Bundestag in Auftrag gegeben haben.


Die ungerechtfertigten Kosten würden etwa zwei Cent pro Kilowattstunde ausmachen, erklärte die grüne Fraktionsvize Bärbel Höhn. Für einen sparsamen Drei-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 2.000 Kilowattstunden betrüge die unnötige Zahlung damit etwa 40 Euro jährlich oder 3,30 Euro monatlich.


„Die Stromrechnungen für die privaten Verbraucher steigen, weil sie von Stromanbietern und Politik gleichzeitig in die Zange genommen werden“, sagte Höhn. Stromversorger wie E.ON oder RWE machten „erhöhte Gewinne, weil sie gesunkene Einkaufspreise nicht an die Haushalte weitergeben“, so die Grüne. Als Gegenmaßnahme fordert sie die kleinen Privatkunden auf, die teuren Anbieter zu verlassen und zur günstigeren Konkurrenz zu wechseln.


Der Gutachter hat für die vergangenen fünf Jahre die Ein- und Verkaufspreise der Stromanbieter verglichen. Sein Ergebnis: Wenn ihre Einkaufspreise sinken, geben die Unternehmen diesen Vorteil nicht oder selten an die Haushaltskunden weiter. Umgekehrt werden Preissteigerungen jedoch fast immer umgelegt. Bei Gewerbekunden und Industrieunternehmen ist es dagegen anders: Diese können gegenüber den Stromanbietern niedrigere Preise durchsetzen.


Der Bundesverband der Energiewirtschaft (BDEW), der die Stromwirtschaft vertritt, weist diese Vorwürfe zurück. „Die Untersuchung hat methodische Mängel“, sagte ein Sprecher. Der Gutachter der Grünen könne die angeblich große Differenz zulasten der Verbraucher nur deshalb ermitteln, weil er die Beschaffungspreise unrealistisch niedrig ansetze.


Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) erklärte: „Die Preise legt die Energiewirtschaft fest.“ Soll heißen: Die Politik oder das Bundeskartellamt können oder wollen nur in den seltensten Fällen eingreifen. Auf dem freien Markt bleibt die Preisgestaltung den Unternehmen überlassen – auch wenn jene ungerechtfertigt erscheint.


Die Grünen wollen mit ihrem Gutachten die Schuldzuweisung an die Adresse der Erneuerbaren Energien relativieren. Denn Politiker aus FDP und Union, Wirtschaftsverbände und auch Verbraucherschützer beklagen die Förderung der erneuerbaren Energien als wesentlichen Grund für steigende Strompreise. Die Debatte wird dadurch angeheizt, dass die Umlage zur Finanzierung von Wind-, Solar- und Biomassestrom demnächst wieder angehoben werden muss. Heute macht der Beitrag der Privathaushalte für die Energiewende rechnerisch 3,59 Cent pro Kilowattstunde aus. Ab kommendem Jahr könnten es etwa fünf Cent sein. Umweltminister Altmaier deutete am Freitag an, dass diese Erhöhung nicht zu vermeiden sei.


Die höhere Umlage kommt einerseits dadurch zustande, dass im Rahmen der Energiewende mehr Ökostrom-Kraftwerke an die Netze angeschlossen werden. Andererseits trifft die Belastung die Privatverbraucher auch hier einseitig. Sie müssen die volle Umlage zahlen, während Großverbraucher zum guten Teil befreit sind, damit deren Arbeitsplätze nicht gefährdet werden. Auch Umweltminister Altmaier trägt diese Regelung ausdrücklich mit, um die „industrielle Basis in Deutschland zu schützen“. Zahlen des Umweltministeriums zufolge sind in diesem Jahr knapp 1.000 Unternehmen teilweise oder ganz von der Umlage befreit. Für 2013 haben 2.000 Unternehmen Anträge gestellt.


Ein Drei-Personen-Haushalt mit 2.000 Kilowattstunden Stromverbrauch muss deshalb dieses Jahr etwa zwölf Euro mehr bezahlen – rund ein Euro pro Monat. Weil die Bundesregierung die Befreiung ausdehnt, rechnet Grünen-Politikerin Höhn damit, dass die Belastung der privaten Haushalte im kommenden Jahr das Doppelte erreichen könnte. Ein sparsamer Haushalt müsste dann schon 24 Euro für die befreite Industrie mitbezahlen. Wer mit Kindern oder großem Haus 4.000 Kilowattstunden verbraucht, wäre mit fast 50 Euro dabei. Umweltminister Altmaier lehnt es ab, sich zu solchen Rechenbeispielen zu äußern.


Info-Kasten

Höhere Windkosten

Auch die neuen Windparks auf Nord- und Ostsee tragen künftig zusätzlich zu höheren Strompreisen bei – wenn auch nur geringfügig. Wirtschafts- und Verbraucherministerium verhandeln gegenwärtig darüber, dass bestimmte Haftungskosten für die verzögerte Anbindung der Windparks an das Netz nicht allein von den beteiligten Unternehmen, sondern von allen Stromverbrauchern zu tragen sind. Die private Stromrechnung könnte sich dadurch um 0,25 Cent pro Kilowattstunde erhöhen. Über die genaue Belastung soll jedes Jahr neu entschieden werden. Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sagt, dass sie gegen das Wirtschaftsministerium eine weitere Steigerung der Umlage in den kommenden Jahren verhindert habe.

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