Reformen für den Kapitalismus
Mehrheitsmeinung in Davos: Kapitalismus hat Schwächen. Gegenmittel: Regulierung und Umverteilung
28. Jan. 2012 –
Ein klein wenig Revolution wollen die Kapitalismus-Kritiker von Davos doch machen – eine Gesprächsrevolution. Sie schlagen den 300 Zuhörern vor, das Podium mit den wichtigen Leuten da vorne aufzulösen und lieber untereinander zu diskutieren. Über die Krise der Finanzmärkte, des ganzen Wirtschaftssystems und eine bessere Zukunft.
In der Aula der Schweizerischen Alpinen Mittelschule in Davos entsteht nun ziemliche Unruhe. Das Publikum möchte lieber hören, was beispielsweise Ed Miliband, der Chef der britischen Labor-Partei zu sagen hat. So wird der Antrag der Occupy-Leute, die aus dem benachbarten Protestcamp gekommen sind, abgelehnt. Die Podiumsdiskussion am Freitagabend kann beginnen.
Der Titel lautet „Kapitalismus neu gestalten“. Organisiert hat sie das Weltwirtschaftsforum, der weltgrößte Managertreff, allerdings außerhalb des polizeilich streng abgesperrten Kongresszentrums von Davos. Muss, soll, darf man aus der Finanz- und Schuldenkrise der vergangenen vier Jahre schließen, dass unser Wirtschaftssystem insgesamt marode ist? Diese Frage treibt selbst die Finanzelite um, weshalb Forumschef Klaus Schwab sie auch gleich zur Eröffnung des offiziellen Programms am vergangenen Mittwoch thematisieren lässt.
Diskutiert wird dabei meistens über mehr oder weniger weitreichende Reformen des gegenwärtigen Kapitalismus-Modells. Die Erkenntnis, dass es da einen gewissen Handlungsbedarf gibt, ist selbst in Davos Mehrheitsmeinung.
Das eine Feld bearbeitet unter anderem Labor-Chef Miliband. In den Finanzkrisen der vergangenen Jahre habe sich ein Mangel an demokratisch etablierten Regeln für die Finanzmärkte gezeigt. Morgan Stanley-Manager Stephen Roach pflichtet ihm bei: „Die Politik muss den Märkten die notwendige Disziplin aufzwingen.“
In dieser Hinsicht ist seit 2008 auch einiges passiert. So sind manche Geschäfte, die Banken früher tätigten, mittlerweile teilweise verboten, etwa der Handel mit Wertpapieren, die man nicht besitzt (ungedeckte Leerverkäufe). Die EU hat eine neue grenzüberschreitende Bankenaufsicht gegründet. Aber man kann auch noch mehr verlangen, wie es etwa Paul de Grauwe, Ökonomie-Professor der Universität Leuwen tut. Grauwe plädiert dafür, die Eigenkapitalanforderungen für Banken beträchtlich zu erhöhen, um ihre Geschäfte sicherer zum machen.
Das zweite Feld er Auseinandersetzung ist die Gerechtigkeit. Roach sagt, „die Einkommensungleichheit ist gegenwärtig höher als jemals zuvor“. Diese pauschale Aussage bedürfte zwar einer Überprüfung im Einzelfall. Richtig aber ist: Etwa in den USA, Großbritannien und auch Deutschland deutet einiges daraufhin, dass die soziale Spaltung zwischen den ganz Armen und den Superreichen zunimmt. Die Mittelschicht profitiert eher nicht von dieser Entwicklung, die neben den Einkommen auch die Vermögen betrifft.
Was man dagegen tun kann? Ökonom Joseph Stiglitz rät, Umverteilung zu betreiben mit höheren progressiven Steuersätzen für Reiche und niedrigeren Belastungen für untere Einkommensschichten. Auch hier sind Versuche im Gange. Ein Beispiel ist die Debatte über die Finanztransaktionssteuer, die allerdings manche Regierungen (Großbritannien) und auch manche Regierungsparteien (FDP) zu blockieren versuchen.
Dabei geht es aber nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch um Zugang zu Chancen oder zur Gesellschaft an sich. Eine der großen Fragen lautet: Kann die Marktwirtschaft ihrem Versprechen noch gerecht werden, Teilhabe für alle Bürger zu gewährleisten? Damit diese Zusicherung weiter einlösbar bleibe, müsse man das mit Steuererhöhungen gewonnene Geld in öffentliche Infrastruktur und vor allem Bildung investieren, sagt Nariman Behravesh, Chefökonom der Analysefirma IHS Globalinsight.
Auf globaler Ebene hat die Frage der sozialen Inklusion eine andere Bedeutung. Bis zu einer Milliarde Menschen hungern – auch das kann man als Versagen der Marktwirtschaft betrachten. In Davos versprachen Regierungen und Konzerne erneut, sich dieser Herausforderung anzunehmen.
Neben diesen Reformansätzen, die die Prinzipien des Kapitalismus nicht in Frage stellen, gibt es aber auch grundsätzlichere Positionen. „Vergesst das Wachstum“, ruft Tomas Sedlacek, Dozent der Karlsuniversität Prag in die Aula der Alpinen Mittelschule, „Europa braucht kein Wachstum mehr, es ist schon reich genug“.
Der Beifall des Publikums hält sich in Grenzen. Wahrscheinlich haben die meisten ein Gespür dafür, was Verzicht auf Wachstum bedeuten könnte. Der Wohlstand der gesamten Gesellschaft würde stagnieren oder abnehmen, um individuellen Verzicht käme man nicht herum. Trotzdem spricht Sedlacek, der gerade sein Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ veröffentlicht hat, damit ein Thema an, das auch viele Menschen in Deutschland bewegt. In den vergangenen Jahren sind Dutzende Bücher über Wachstumskritik erschienen. Das hat etwas mit der Finanzkrise zu tun, die ja auch durch zu schnelles Wachstum eines Teils der Wirtschaft entstanden ist.
Nicht nur Sedlacek aber bekommt die mangelnde Zustimmung zu spüren, auch die Occupy-Leute treffen nicht das Interesse des Publikums. Die Studenten aus dem Protestcamp sagen immer wieder, sie könnten keine Alternative zum Kapitalismus vorschlagen – gerade deshalb müsse man aber mit allen zusammen mal eingehend darüber debattieren. Prozess statt Lösung – das bringt ihnen Kopfschütteln und Buhrufe ein.