„Reiche würden sich aus Deutschland verabschieden“

Im Interview: Wolfgang Wiegard

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Von Wolfgang Mulke

18. Okt. 2012 –

Es wird immer wieder heftig über eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen diskutiert. Prof. Wolfgang Wiegard hält die Debatte für überzogen. Für den 66-jährigen Ökonom und langjährigen Chef des Sachverständigenrats der Bundesregierung steht Deutschland in dieser Frage international vergleichsweise gut da.




Frage: Gibt es eine ökonomisch gerechte Gesellschaft?


Wolfgang Wiegard: Objektiv lässt sich kaum feststellen, wann eine Gesellschaft ökonomisch gerecht ist. Man kann Ungleichheit von Einkommen und Vermögen messen, aber aus Ungleichheit kann man noch nicht auf Ungerechtigkeit schließen. Jedenfalls wäre es absurd, jegliche Form von Ungleichheit als „ungerecht“ zu beurteilen, und umgekehrt, nur eine völlige Gleichverteilung als „gerecht“.


Frage: Ist eine sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich überhaupt ein Problem, wenn ja, warum?


Wiegard: Die aktuelle Diskussion über eine sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich wird nicht zuletzt durch den kommenden Bundestagswahlkampf befeuert. Die Zahlen geben das beim Blick auf die Einkommen nur bedingt her. Üblicherweise misst man Einkommensungleichheit über den so genannten Gini-Koeffizienten. Bei einem Wert von Null wären alle Einkommen gleich verteilt, bei einer Eins extrem ungleich. In Deutschland liegt er bei den Bruttoeinkommen laut OECD aktuell bei 0,42; beim verfügbaren Einkommen sinkt der Wert auf 0,3. Das Steuer- und Sozialsystem sorgt also für eine Umverteilung von oben nach unten.


Dies sagt aber nichts über eine faire oder unfaire Verteilung aus. In Deutschland sind die verfügbaren Einkommen gleicher verteilt als im Durchschnitt der OECD Länder. Unter 33 OECD-Ländern liegt Deutschland auf Platz 15. Gleicher verteilt sind die verfügbaren Einkommen vor allem in den nordischen Ländern, ungleicher verteilt sind sie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, im Vereinigten Königreich, in Italien, Spanien, Griechenland oder Japan. Bei der Einkommensungleichheit ist Deutschland im internationalen Vergleich nicht auffällig. Auch das Argument, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, zieht nicht so richtig. Dieser Trend ist anderswo, gerade in den Nordländern, viel ausgeprägter. Außerdem sind absolut betrachtet die Einkommen in den letzten 20 Jahren natürlich auch inflationsbereinigt stark angestiegen.


Frage: Gilt diese Beobachtung auch für die Verteilung der Vermögen?


Wiegard:Die Vermögen sind wesentlich ungleicher verteilt als die Einkommen. Der Gini-Koeffizient für Deutschland liegt bei 0,8. Das ist aber nicht nur in Deutschland so, sondern an allen Ländern. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Gleichheit oder Ungleichheit der Vermögensverteilung wieder im Mittelfeld.


Frage: Trotzdem gibt es immer mehr arme Haushalte und viele Arbeitnehmer sind von Altersarmut bedroht. Da stimmt doch etwas nicht, oder?


Wiegard: Es geht nicht darum, die Situation in Deutschland schönzureden. Aber man sollte wissen, wie Armut gemessen wird, wenn man über Armut redet. Laut OECD sind 4,2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland arm. Der Durchschnitt in der OECD liegt bei sechs Prozent. Mit am geringsten ist die Rate in Tschechien und Ungarn. Das mag verwundern, liegt aber an der Messmethode. Gemessen wird nicht die absolute Armut, bei der das Einkommen zum Überleben nicht reicht, sondern die relative Armut, die sich am Einkommen aller Haushalte orientiert. Das wird an folgender Überlegung deutlich: Angenommen jeder in Deutschland bekommt das dreifache, oder sogar das zehnfache Einkommen nach Steuern und Transfers. Welchen Effekt hat aus auf die Armut in Deutschland? Überhaupt keinen. Die Armutsquote wäre nach wie vor bei 4,2%.


Frage: Welchen Einfluss hatte die Steuerpolitik der letzten Jahrzehnte auf die Verteilung?


Wiegard: Richtig ist, dassdie letzten Bundesregierungen die Einkommensteuersätze und die Unternehmensbesteuerung gesenkt haben, die große Koalition aber auch eine Reichensteuer eingeführt hat. Die Steuersenkungen waren auch richtig. Sie haben den Standort Deutschland in steuerlicher Hinsicht attraktiver gemacht, die Einkommensungleichheit aber nur unwesentlich vergrößert: Der Gini-Koeffizient der verfügbaren Einkommen ist in den letzten 10 Jahren nicht besonders stark angestiegen.


Frage: Müssten angesichts der ungleichen Verteilung nicht die Vermögen stärker besteuert werden?


Wiegard: Richtig ist, dass die Besteuerung von Vermögen in Deutschland vergleichsweise gering ist. Jürgen Trittin von den Grünen hat gerade eine 1,5-prozentige Steuer auf hohe Vermögen für die Dauer von 10 Jahren vorgeschlagen und eine einmalige Vermögensabgabe zur Schuldentilgung – und auch Steinbrück tritt neuerdings für eine Vermögenssteuer ein. Private Vermögenserträge werden zur Zeit mit 26,38 Prozent besteuert. Wenn jetzt zusätzlich eine 1,5-przentige Vermögenssteuer Steuer erhoben würde, stiege die implizite Belastung von Vermögenseinkommen oberhalb von Freibeträgen erheblich an. Um wie viel, hängt von der Vermögensrendite ab. Bei einer Verzinsung auf dem Niveau deutscher zehnjähriger Staatsanleihen von aktuell 1,5 Prozent beliefe sich die Belastung der Vermögenserträge auf rund 126 Prozent. Die Folge wäre klar. Reiche würden sich aus Deutschland verabschieden. Die Steuerhinterziehung nähme stark zu. Handlungsbedarf sehe ich vor allem bei der Erbschaftsteuer. Das Problem ist hier, dass Betriebsvermögen unter geringen Auflagen fast steuerfrei auf die nächste Generation übertragen werden können. Nur am Rande sei vermerkt, dass die Große Koalition mit Steinbrück als Finanzminister diese verkorkste Erbschaftsteuerreform zu verantworten hat.



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