Renaissance des Einweckglases

Wer Silvester ins edle Restaurant geht, darf sich auf Hausmannskost freuen. Spitzen- und Hobbyköche legen Kürbis ein und kochen Marmelade. Der Trend in der Ernährung: Regional und Selbstgemacht. Die Lebensmittelindustrie reagiert.

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Von Hanna Gersmann

29. Dez. 2013 –

Wer sich Silvester mal etwas gönnt und ins Gourmetrestaurant geht, könnte erstaunlich schlicht essen: Die Spitzenköche in Deutschland entdecken das heimische Gemüse und das Weckglas wieder.

Das Restaurant Margaux, nahe dem Brandenburger Tor, Berlin Mitte: Der aus Hessen stammende Sternekoch Michael Hoffmann schnippelt dort Kürbis, spickt Zwiebeln, serviert Rübchen. Das meiste kommt aus seinem eigenen Garten vor den Toren Berlins. Das Gros seiner Ernte kocht er ein – für Silvester und sonst im Winter. Man muss noch nicht mal ins Restaurant reingehen, um Hoffmanns Liebe zum Einkochen zu sehen: Er reiht die Gläser im Fenster auf.

Hoffmann liegt damit im Trend – zum Regionalen. Kanzlerin Angela Merkel ist dafür bekannt, Linsensuppe und das Bodenständige zu mögen. Mittlerweile ist aber auch vielen anderen der Appetit auf die Allerweltsküche vergangen. Vor gut zehn Jahren lösten die verrückten BSE-Rinder einen Biotrend aus. In den letzten Jahren mehrten sich dann die Skandale in der globalisierten Lebensmittelindustrie. Erst dieses Jahr tauchte Pferdefleisch in Tiefkühllasagne auf. Nun folgt die regionale Avantgarde.

Da kocht mancher wieder Marmelade oder legt Kürbis ein. Und das gute alte Einmachglas verkauft sich wieder. „Der Bedarf ist größer geworden“, sagt Rüdiger Mengel. Er ist Prokurist bei Weck, dem wohl größten Anbieter von Einmachgläsern. Genaue Zahlen nennt er nicht. Doch die Zuckerindustrie schätzt jedes Jahr die Einkochlust ein, damit sie weiß, wie viel Zucker sie produzieren muss. Und demnach füllen die Deutschen heute pro Jahr eine Milliarde Gläser voll - 300 Millionen mit Marmelade, 600 Millionen mit Kompott, Erbsen und Bohnen, 100 Millionen mit Fleisch. In den 90er Jahren waren es, so sagt Mengel, „deutlich“ weniger.

Der Appetit auf Hausgemachtes sei Ausdruck für „das latente Unbehagen an der technisierten Welt“, erklärt Ernährungsforscherin Christine Brombach. Die Professorin an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat einst die Nationale Verzehrstudie in Deutschland geleitet. Besser ist das Essverhalten der Deutschen nie untersucht worden.

Der Psychologe und Gründer des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold, Stephan Grünewald, sagt, wer einkaufe müsse sich mittlerweile dauernd Fragen stellen wie „Kaufe ich den Joghurt mit oder ohne Knusper, mit oder ohne viel Fett?“ oder „Kann ich das Bioobst aus China kaufen?“. Das strenge einfach an. Vom „Produktflimmern“ spricht er - und beobachtet ein Verlangen nach „Reduktion“.

Im Ökobarometer 2013, eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesverbraucherministeriums, gaben 92 Prozent der Befragten an, regionale Produkte zu bevorzugen. Die Lebensmittelbranche hat darauf bereits reagiert - und wirbt mit Etiketten „aus der Heimat“, „aus der Region“, „aus der Nähe“. Nur: Verbraucherschützer warnen vor Mogelpackungen.

Berühmtestes Beispiel: Wer in Husum oder Kiel in einen Supermarkt geht, kann Kaffee, Reis oder Bananenchips der Marke „Unser Norden“ - „Exklusiv für Coop“ kaufen. Das Versprechen: „Aus der Region für die Region“. Doch die Coop EG erklärt selbst: „Nördlich der Elbe wachsen kein Pfeffer, kein Kaffee und keine Apfelsinen.“ Die Produkte würden aber in Norddeutschland produziert, verarbeitet oder veredelt. Es gibt zwar ein einheitliches, verbindliches „Bio“, ein Regionallabel aber nicht. Die Lebensmittelindustrie legt „Regionalität“ oft großzügiger aus als ein Spitzenkoch oder ein Verbraucher.

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