Retter oder Totengräber des Euro

Überschreitet Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, seine Kompetenzen? Das Verfassungsgericht verhandelt

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Von Hannes Koch

07. Jun. 2013 –

Gefährdet oder schützt die Europäische Zentralbank den Euro? So lautet die große Frage, über die das Bundesverfassungsgericht am kommenden Dienstag und Mittwoch verhandelt. Es geht um zwei Sätze, die Zentralbank-Präsident Mario Draghi im vergangenen Sommer sprach: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir: Es wird genug sein.“ Konkret kündigte Draghi an, Staatsanleihen von verschuldeten Ländern wie Spanien oder Italien zu kaufen, wenn die Krise noch bedrohlicher werde.


Unter anderem dieses Programm zum Erwerb von Staatsanleihen stört die Kläger, die sechs Verfassungsbeschwerden eingereicht haben. Darunter sind CSU-Politiker Peter Gauweiler und Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD). Sie meinen, die Europäische Zentralbank überschreite ihre Kompetenzen. EZB-Chef Draghi dagegen verweist auf seinen Erfolg. Schon die bloße Ankündigung habe gereicht, um die hohen Zinsen für südeuropäische Staatsanleihen sinken zu lassen und die Gefahr des Bankrotts von Spanien und Italien abzuwenden. Unsere Zeitung präsentiert die wichtigsten Argumente für und gegen diese Strategie.


Geld für Regierungen?

Die europäischen Verträge definieren die Wertstabilität des Euro als primäres Ziel, das die Europäische Zentralbank verfolgen muss. Den Regierungen der Euro-Staaten Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, ist der EZB dagegen verboten. Die Begründung: Wenn die Regierungen sich bei der Zentralbank bedienen könnten, würden sie zuviel Geld ausgeben und die Inflation griffe um sich. Wie begründet EZB-Chef Draghi dann, dass er trotzdem spanische Schuldscheine kaufen will?


Argument der EZB: Draghi sagt, die Notenbank würde die Staatsanleihen nicht direkt der spanischen Regierung abkaufen, sondern privaten Händlern. Das Geld der EZB komme deshalb gar nicht beim Staat an. Solche Käufe auf dem so genannten Sekundärmarkt stellten keine verbotene Haushaltshilfe für Regierungen dar.


Gegenargument: Bundesbankchef Jens Weidmann, der am Dienstag persönlich vor dem Bundesverfassungsgericht spricht, erklärt dagegen: Wenn die EZB mittels Anleihekäufen deren Zinsen drückt, erleichtert das den Regierungen die Verschuldung. Damit helfe die Zentralbank den Politikern doch, ihre maroden Haushalte zu finanzieren.


Droht Inflation?

Argument der EZB: Nein, eine höhere Inflation im Euroraum sei nicht abzusehen. Zum Beleg verweist die Notenbank auf die tatsächlichen Inflationsraten, die im Umkreis von ungefährlichen zwei Prozent liegen.


Gegenargument der Bundesbank: Noch gebe es keine Tendenz zur Inflation. Wenn die EZB ihre Ankündigungen des Anleihekaufes aber umsetze, nehme die Menge des umlaufenden Geldes möglicherweise stark zu und die Kaufkraft des Euro sinke.


Ist die EZB noch handlungsfähig?

Argument der EZB: Unternehmen in Spanien oder Italien müssen viel höhere Kreditzinsen zahlen als Firmen in Deutschland. Obwohl die Zentralbank versucht, diese Zinsen mittels ihres Leitzinses zu drücken, funktioniere das nicht. Die Geldpolitik sei also nicht mehr voll wirksam, wodurch die Notenbank ihr primäres Ziel der Geldwertstabilität nur noch eingeschränkt verfolgen könne.


Gegenargument der Bundesbank: Die hohen Zinsen für Firmen in den südeuropäischen Staaten sind einfach eine Folge der mangelnden Finanzdisziplin der dortigen Regierungen. Wären diese sparsamer, bekämen sie leichter Geld von Investoren. Das würde dann auch für die Banken gelten, und die Zinsen für Unternehmenskredite sänken. Fazit: Die Wirksamkeit der Geldpolitik der EZB steht gar nicht zur Debatte.


Info-Kasten

Alte Freunde

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wird beim Bundesverfassungsgericht auf einen guten, alten Bekannten treffen: Jörg Asmussen vertritt EZB-Chef Mario Draghi. Weidmann und Asmussen haben zusammen studiert und später parallel wichtige Positionen in der Bundesregierung eingenommen. Weidmann war ein enger Mitarbeiter von Angela Merkel im Bundeskanzleramt, Asmussen versuchte das Bundesfinanzministerium durch die Finanzkrise zu manövrieren. Beiden wird nachgesagt, ähnliche finanzpolitische Positionen zu vertreten. Nun verlangen ihre Rollen von ihnen aber konträre Statements. Ein Urteil wird das deutsche Verfassungsgericht in der kommenden Woche übrigens nicht fällen – dies dauert noch ein paar Monate.

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