Rüffel für mangelnde Nachhaltigkeitspolitik

Internationale Experten fordern die Einrichtung eines Bundesministeriums für Energie und Klima. Ansonsten drohe Gefahr für Öko-Arbeitsplätze in Deutschland

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Von Hannes Koch

23. Nov. 2009 –

Politiker aller Couleur verlassen sich gerne darauf, dass deutsche Produkte auf den Weltmärkten sowieso Käufer fänden – besonders, wenn sie etwas mit Ökologie zu tun haben. Windkraftwerke, Solarzellen, Abgasfilter: Deutschland sei Spitzenreiter, verkünden ehemalige und gegenwärtige Umweltminister wie Sigmar Gabriel (SPD) und Norbert Röttgen (CDU). Davor, dass dies ein folgenschwerer Trugschluss sein könnte, warnte am Montag Björn Stigson, der Leiter des Weltwirtschaftsrates für nachhaltige Entwicklung. „Deutschland kann seine führende Position verteidigen, es kann sie aber auch verlieren“, so Stigson.


Die Bundesregierung hatte den schwedischen Manager eingeladen, die deutsche Nachhaltigkeitspolitik zu überprüfen. Anlässlich der Jahrestagung des Rates für Nachhaltige Entwicklung legte Stigson gestern seinen Bericht vor. Das Ergebnis: Deutschland fehlt eine langfristige, bis 2050 reichende Strategie für den Umbau zu einer Wirtschaft, die nahezu ohne den Ausstoß von Kohlendioxid auskommt. Stigson beklagte den „Mangel einer Vision“. Japan, die USA, aber auch China seien Deutschland bei der technischen Entwicklung und Forschung dicht auf den Fersen. Strenge man sich hierzulande nicht an, werde die Öko-Technologie in einigen Jahrzehnten in anderen Teilen der Welt Arbeitsplätze schaffen – und nicht mehr in Deutschland.


Stigson, der dem Weltwirtschaftsrat aus 200 internationalen Unternehmen vorsitzt (World Business Council für Sustainable Development, WBCSD), mahnte vor allem institutionelle Verbesserungen an. Der Mangel eines langfristigen Planes zur Reduktion der CO2-Emissionen rühre auch daher, dass die Zuständigkeiten in Deutschland zu schwach und zersplittert seien. Stigson regte an, ein Bundesministerium für Energie und Klima zu gründen. Außerdem solle ein zusätzlicher Minister im Kanzleramt die Nachhaltigkeitspolitik koordinieren. Heute, so Stigson, seien die entsprechenden Aufgaben auf sieben Bundesministerien verteilt.


Deutschland besitzt zwar eine Nachhaltigkeitsstrategie, die die frühere rot-grüne Regierung 2002 formulierte. Bis 2020 will die Bundesregierung die CO2-Emissionen um 30 bis 40 Prozent verringern. Ein festes Reduktionsziel bis 2050 existiert bislang aber nicht. Die Regierung orientiert sich an dem, was die Wissenschaft für erforderlich hält. Demnach müssen die Industrieländer ihren Kohlendioxid-Ausstoß bis 2050 um 80 bis 90 Prozent verringern, damit die Erdatmosphäre nicht mehr als zwei Grad wärmer wird.


Diese lockere Orientierung reiche nicht, kritisieren Stigson und seine Kollegen. „Deutschland muss Wirtschaftssektor für Wirtschaftssektor durchbuchstabieren, welche Maßnahmen notwendig sind“, sagte Jennifer Morgan, die der Expertengruppe ebenfalls angehört. Die Direktorin des Klimaprogramms des World Ressources Institutes (WRI) hält es für problematisch, dass Deutschland weiter Kohlekraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß baue, anstatt die Erneuerbaren Energie stärker zu fördern. Volker Hauff, Vorsitzender des Nachhaltigkeitsrats, sagte, die Bundesregierung müsse sich von einer „undifferenzierten Wachstumspolitik verabschieden“.


Klaus Töpfer, Ex-Umweltminister und gegenwärtig Vize-Chef des Nachhaltigkeitsrates, unterstützte die Idee einer langfristigen Strategie. Er verwies allerdings auch auf die Schwierigkeiten: „Es ist nicht immer leicht, in Deutschland ein Visionär zu sein“. Ähnliches hat wohl Björn Stigson erlebt. Als er in Bundes- und Landesministerien nach einer Strategie für 2050 fragte, bekam er zu hören: „Wir wollen keine Planwirtschaft wie in der Sowjetunion“. Das waren Äußerungen, die den einstigen Vorstand des Kraftwerksbauers ABB erstaunten. „Was ist gegen einen langfristigen Geschäftsplan einzuwenden?“, fragte sich der Manager.

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