Rund 600 Klagen gegen den Rundfunkbeitrag
Öffentlich-rechtliche Sender können mit deutlichen Mehreinnahmen rechnen. Wer unter Vorbehalt zahlt, bekommt womöglich sein Geld später zurück
22. Nov. 2013 –
Mittlerweile erhalten immer mehr Haushalte Post von der Servicestelle der öffentlich-rechtlichen Radio- und TV-Sender. Darin fordern sie Haushalte, die bislang noch nichts für das Angebot von ARD und ZDF bezahlen, zur Anmeldung auf. Eine Nachzahlung fordert die Einzugsstelle such schnell. Denn seit Januar ist jeder Haushalt im Land verpflichtet, monatlich 17,98 Euro als Beitrag für das öffentlich-rechtliche Angebot zu bezahlen.
So erging es auch Iris Bocian. „Dabei habe ich gar keinen Fernseher“, ärgert sich die Berlinerin. Doch das spielt im Gegensatz zur früheren Regelung keine Rolle mehr. Bocian hält die Zwangsabgabe für verfassungswidrig. 215,76 Euro soll sie nachzahlen. Doch vor einer Klage scheut sie zurück. „Mein Anwalt hat mir etwas anderes geraten“, berichtet sie. Sie will unter Vorbehalt zahlen. Sollte die Verfassungswidrigkeit irgendwann einmal gerichtlich festgestellt werden, würde sie ihre Zahlungen zurückerhalten.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zwangsbeitrags sind verbreitet. Viele Bürger, aber auch Unternehmen klagen vor den Verwaltungsgerichten, wie eine Umfrage dieser Zeitung unter den 39 bundesweit zuständigen Kammern und den 15 Oberverwaltungsgerichten ergab. Danach sind mittlerweile fast 600 Verfahren anhängig. Allein rund 100 davon gingen beim Verwaltungsgericht der Klagehauptstadt Berlin ein. Überwiegend halten die Kläger die Abgabe für einen Verstoße gegen die Verfassung, weil sie den Charakter einer allgemeinen Steuer habe. Aber auch Schwerbehinderte, die nicht mehr vollständig von der Zahlung befreit sind, ziehen häufiger vor Gericht.
Besonders viel Aufmerksamkeit erregen die Anträge zweier Unternehmen. Die Drogeriekette Rossmann und der Autovermieter Sixt wollen den Rundfunkstaatsvertrag kippen. Denn gegen die Abgaben, die Unternehmen mit vielen Filialen oder Niederlassungen leisten müssen, fällt die Rechnung für Privatleute geradezu bescheiden aus. Sixt bezahlte für die Autoradios in den Mietwagen bislang je nach Größe der Fahrzeugflotte rund drei Millionen Euro im Jahr. Pro Dienstwagen berechnet die Servicestelle der Sender 5,99 Euro im Monat. „Durch die Reform kommt 2013 eine Mehrbelastung in sechsstelliger Größenordnung auf uns zu“, befürchtet Sprecher Frank Elsner. Rossmann wiederum verweist darauf, dass es in den 1.750 Filialen des Unternehmens weder Radios, noch Fernsehen oder Internetanschlüsse gebe. 300.000 Euro soll die Kette trotzdem dafür bezahlen.
Beide Unternehmen stützen ihre Verfassungszweifel wie viele andere Kläger auch auf verschiedene Argumente. Rossmann sieht im Beitrag eine verdeckte Steuer. Da sie von den Ländern vereinbart wurde, sei dies ein Verstoß gegen das Grundgesetz, denn eine Steuer dürfen die Länder nicht allein beschließen. Der Autovermieter wiederum hält die zu erwartenden Mehreinnahmen für verfassungswidrig, weil die Reform per Gesetz keine zusätzlichen Einnahmen erzeugen darf. Und die Mehreinnahmen betragen nach Berechnungen von Sixt deutlich mehr als eine Milliarde Euro, wenn tatsächlich alle bezahlen, die es müssten. 2012 nahm die frühere Gebühreneinzugszentrale insgesamt 7,5 Milliarden Euro ein.
Berichte, nach denen das ZDF Mehreinnahmen von 25 Millionen Euro bereits in den nächsten Haushalt eingestellt hat, weist der Sender zurück. Die Aufstockung entspreche der bei der zuständigen Kommission eingereichten mittelfristigen Finanzplanung. Nicht anerkannte Mittel, also zum Beispiel unerwartete Mehreinnahmen, dürfe das ZDF nicht in Anspruch nehmen.
Entschieden ist noch nichts. Nur in Einzelfällen gab es bereits Beschlüsse. So hat das Potsdamer Verwaltungsgericht den Beitrag für rechtmäßig befunden. Ansonsten sind nach Auskunft der Gerichte nicht einmal Termine zur Klärung anberaumt worden. In Bayern warten die Richter zum Beispiel erst einmal auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Fachleute rechnen ohnehin damit, dass die Frage am Ende dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Sixt will auf jeden Fall eine höchstrichterliche Klärung herbeiführen.
Info-Kasten
Kann man sich gegen den Beitrag wehren?
Zunächst einmal besteht eine Zahlungspflicht, denn der Rundfunkbeitrag ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Servicestelle der öffentlich-rechtlichen Medien verschickt zunächst nur Rechnungen, keine anfechtbaren Gebührenbescheide. Einen solchen Bescheid erhält man erst, wenn die Sender selbst den ausstehenden Betrag anmahnen. Dann ist eine Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht möglich.
Leichter ist es, den Beitrag erst einmal zu bezahlen, dies aber unter Vorbehalt zu tun. Das geschieht schriftlich mit der Begründung von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit und dem Hinweis, unrechtmäßig bezahlte Beträge zurückzufordern. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Rundfunkabgabe als höchste Instanz für verfassungswidrig erklären, müssten die Sender die bis dahin gezahlten Abgaben womöglich zurückzahlen.