Russisches Gas war lange willkommen

Früher versorgte sich Deutschland vornehmlich selbst mit Energie. Heute dominiert der internationale Markt. Die Energiewende könnte Importe aus autokratischen Staaten überflüssig machen

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Von Hannes Koch

06. Apr. 2014 –

Ist Deutschland zu abhängig von Erdöl- und Gaslieferungen aus Russland? Wegen der Ukraine-Krise wird darüber neuerdings viel geredet. Dabei hat die Politik das Ziel der Energieunabhängigkeit schon lange aufgegeben.

 

In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg hingegen basierte die Energiewirtschaft der Bundesrepublik noch auf einem Gesetz von 1935, mit dem die Nazis das Land kriegsfähig gemacht hatten. Die sichere Selbstversorgung stand an oberster Stelle. Monopolunternehmen, oft in öffentlichem Besitz, waren für die Versorgung jeweils eines bestimmten Gebietes zuständig.

 

Auch zu Zeiten des Kalten Krieges setzten die Energieversorger möglichst viel heimische Kohle und deutsches Erdgas als Brennstoffe ein. Der Importanteil lag viel niedriger als heute. Erdöl für die Tankstellen wurde vornehmlich in westlich orientierten Staaten gekauft. „Erst nach den Ölkrisen der 1970er Jahre stieg allmählich der Anteil, den die Sowjetunion nach Westen lieferte,“ sagt Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.

 

Auch in dieser Zeit blieb Westdeutschland aber aufgeteilt in die Gebietsmonopole. Unternehmen und Privathaushalte mussten Strom, Gas und Wärme bei den jeweiligen regionalen Lieferanten kaufen. Wahlfreiheit gab es nicht. Kraftwerke waren Gelddruckmaschinen - noch mehr als heute.

 

In den späten 1970er Jahren begann dann ein neues Motiv die Energiewirtschaft zu beeinflussen: Umweltschutz. Die Anti-Atom-Bewegung verlangte, die nuklearen Reaktoren abzuschalten. Tüftler und Ingenieure entwickelten alternative Kraftwerke – Wind-, Solar- und Biomasse-Anlagen. Anfangs war das eine sehr kleine Nische.

 

Dies änderte sich erst im Zusammenspiel mit der europäischen Politik. In den 1980er und 1990er wollte die EU-Kommission den gemeinsamen europäischen Markt voranbringen, mehr Konkurrenz zwischen Unternehmen einführen und die Monopole knacken. Zur Begründung führten die Strategen in Brüssel ein neues energiepolitisches Ziel ein: niedrigere Preise. Sie erließen die „Binnenmarkt-Richtlinie Elektrizität“ von 1996. Auch die Bundesregierung musste deshalb den deutschen Energiesektor liberalisieren. Für die alten Unternehmen war die ruhige Zeit vorbei.

 

Denn Firmen und Privatverbraucher können sich seitdem ihren Energieanbieter selbst aussuchen. Millionen Verbraucher entschieden sich für Ökostrom. Ohne diese Wahlfreiheit gäbe es neue Anbieter wie Lichtblick, Greenpeace Energy oder die Elektrizitätswerke Schönau wohl nicht. Vermutlich wäre die Energiewende bei weitem nicht so fortgeschritten, wie sie es heute ist.

 

Außerdem löste sich der sowjetische Wirtschaftsblock auf. Offene Grenzen, die zunehmende internationale Verflechtung der Märkte und die allmähliche Ökologisierung der Energiewirtschaft führten gemeinsam dazu, dass Deutschland mehr Brennstoffe importierte – zum Beispiel große Mengen Erdgas aus Russland. Bisher war dieses auch für die Energiewende höchst willkommen. Denn Gas gilt als relativ umweltfreundlicher Brennstoff einer Übergangszeit, bis um 2050 die Wind- und Solarkraftwerke das Rückgrat der Energieversorgung bilden sollen.

 

Nun aber schiebt sich wieder der Gedanke der Energieunabhängigkeit in den Vordergrund. Kanzlerin Angela Merkel glaubt anscheinend auch, dass man den Russen nicht zu viel Gas abkaufen sollte. Wobei: In den kommenden Jahrzehnten wird die Energiewirtschaft zunächst eher internationaler, als nationaler. Nicht umsonst fördert die EU den Bau grenzüberschreitender Kabel und Pipelines. Außerdem gehen den Niederländern, Briten und Norwegern ihre Gas- und Ölreserven aus. Die EU muss sich stärker global orientieren, um den Energiebedarf zu decken – einerseits.

 

Andererseits ist da die Energiewende. Wenn es Deutschland und vielleicht noch einigen anderen EU-Staaten gelingt, den größeren Teil der Energie für Wohnungen, Industrie und Verkehr mit Wind- und Sonnenkraftwerken zu produzieren, kann sich das Thema der Abhängigkeit von unangenehmen Lieferländern in Wohlgefallen auflösen. Dann müssen die Autokraten dieser Welt ihr Gas und Öl selbst verbrennen.

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