Russland – stark und verletzlich

Westliche Sanktionen als Antwort auf die Krimkrise? Moskau könnte wirtschaftliche Strafaktionen kurzfristig abfedern

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Von Hannes Koch

12. Mär. 2014 –

Wer durch den Gorki-Park am Ufer der Moskwa radelt, stellt auf den ersten Blick keine großen Unterschiede zu ähnlichen Szenerien in Berlin oder New York fest. Auf künstlichem Strand stehen moderne Spielgeräte. Junge Männer auf Inlineskates schieben schnelle, dreirädrige Kinderwagen. Auch in der russischen Hauptstadt lebt eine vergleichsweise wohlhabende und moderne Mittelschicht.

 

Zwar darf man die Situation im Zentrum von Moskau nicht mit anderen Gegenden des Riesenreiches gleichsetzen, in denen es teils deutlich ärmlicher zugeht. Aber Tatsache ist: Russland hat einen langen Aufschwung hinter sich, von dem viele Einwohner profitieren, nicht nur Milliardäre und Oligarchen. Zwischen 1999 und 2008 lag die jährliche Wachstumsrate im Durchschnitt bei rund sieben Prozent. Auch auf dieser neugewonnenen Stärke basiert die aggressive Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine.

 

Die Wirkung möglicher Wirtschaftssanktionen gegen Russland sind vor dem Hintergrund dieser relativen Kraft zu beurteilen. Wie würden ökonomische Strafen wirken, die die westlichen Industriestaaten als Reaktion auf die Abstimmung auf der Krim am Sonntag androhen?

 

Der Boom im Osten basiert wesentlich auf Exporten von Rohstoffen, deren Preise in den zurückliegenden Jahren teils stark stiegen. Etwa 80 Prozent der russischen Ausfuhren machen Erdöl, Erdgas, Metalle und andere natürliche Ressourcen aus. Sie finanzieren etwa die Hälfte des Staatshaushaltes. Diese besondere Abhängigkeit macht Russland einerseits verletztlich bei einem westlichen Gas- oder Öl-Boykott. Hella Engerer, Osteuropa-Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), sagt aber auch: „Russland verfügt über einen Puffer, um die Wirkung kurzfristiger Wirtschaftssanktionen abzufedern.“

 

So füllt die Regierung seit Jahren einen Reserve- und einen Wohlstandsfonds, um auch bei sinkenden Rohstoffeinnahmen handlungsfähig zu bleiben. Zum Jahresende 2013 enthielten diese Fonds etwa 140 Milliarden Euro. „Der Reservefonds ist allerdings nicht so gut gefüllt, wie die Regierung plante“, so Engerer.

 

Hinzu kommen aber weitere für die russische Regierung positive Aspekte. Das Land ist mit 12,5 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung kaum verschuldet. Es verfügt über hohe Gold- und Devisenreserven. Außerdem steigt die weltweite Nachfrage nach Öl und Gas eher, als dass sie sinkt.

 

Ob und wie schnell ein teilweiser Öl- und Gas-Boykott wirken würde, ist deshalb fraglich. Zumal Deutschland und die anderen EU-Staaten ihre Importe aus Russland innerhalb weniger Monate ersetzen müssten. Deutschland kauft etwa ein Drittel seines fossilen Treibstoffs von russischen Firmen. Diese Importe seien auch aus anderen Quellen zu beziehen, sagt DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert mit Verweis auf Norwegen, die Niederlande und Katar. Dagegen halten Martin Wansleben, Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, und Ökonom Werner Sinn einen Verzicht auf russisches Gas für gefährlich, beziehungsweise kaum möglich.

 

Umgekehrt besteht ein wesentlicher Teil westlicher Exporte nach Russland aus Investitionsgütern wie Maschinen und hochwertigen Komsumgütern, etwa Kraftfahrzeugen. Für Deutschland machen diese Posten ungefähr die Hälfte der Lieferungen in die russische Föderation aus. Würde man entsprechende Exporte im Zuge eines Boykotts einschränken, träfe das einerseits die dortigen Unternehmen, aber auch die Mittelschichtskonsumenten, die etwa die in Russland beliebten Opel-Fahrzeuge nicht mehr kaufen könnten.

 

Wahrscheinlich verstärkten solche Sanktionen auch die augenblickliche Schwäche des Wirtschaftswachstums. Denn von den hohen Zuwachsraten der Vergangenheit ist Russland augenblicklich weit entfernt. Aktuellen Prognosen zufolge muss sich die Föderation dieses Jahr mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 und 2015 von 2,4 Prozent zufriedengeben. Hinzu kommt: Bisher sind die Versuche der Regierung weitgehend im Sande verlaufen, die Wirtschaft aus der einseitigen Abhängigkeit vom Rohstoffsektor zu befreien und auf eine breitere Basis zu stellen.

 

Anton Börner, der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, erklärt: „Im Ergebnis wäre ein Handelskonflikt für Deutschlands Wirtschaft schmerzhaft, für die russische Wirtschaft aber existenzbedrohend.“ Wobei der dicke Hammer augenblicklich im Schrank zu bleiben scheint. Viele Verantwortliche in Ost und West wollen offenbar die engen wirtschaftlichen Beziehungen nicht riskieren. Auch die westlichen Staaten drohen deshalb eher mit gezielten Sanktionen wie Kontosperrungen, die nur einzelne Vertreter der russischen Regierung träfen.

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