Schildbürgerstreich aus Brüssel

Fluggäste dürfen in einem Jahr wieder unbegrenzte Mengen Flüssigkeit mitnehmen / Die gut gemeinte Regelung führt aber vielleicht zum Chaos an Flughäfen

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Von Wolfgang Mulke

26. Apr. 2012 –

Eigentlich will die Europäische Union (EU) den Fluggästen mit der Verordnung 297/2010 Ärger ersparen. Die Anweisung sieht vor, dass alle Passagiere ab dem 29. April 2013 wieder unbegrenzte Mengen an Flüssigkeiten mit in den Flieger nehmen dürfen. Nach Terroranschlägen und Anschlagsversuchen war die Mitnahme vor sechs Jahren beschränkt worden. Doch die gut gemeinte Neuregelung hat noch einen zweiten Teil. Danach muss das Sicherheitspersonal an den Kontrollstellen auch alle Flüssigkeiten unter die Lupe nehmen, damit kein Sprengstoff an Bord geschmuggelt werden kann.


Diese Pflicht wird in den Abfertigungshallen nach Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) für Chaos und teurere Tickets sorgen. „Da wird uns einiges um die Ohren fliegen“, befürchtet Verbandschef Ralph Beisel. Es gebe ein Jahr vor der Einführung noch keine zuverlässige Technologie zum Erkennen der Flüssigkeiten. Tests an 14 europäischen Airports zeitigten ein lausiges Ergebnis. Es gab viele Fehlalarme, manche Substanzen werden gar nicht erkannt und die Zahl der pro Stunde kontrollierten Passagiere ging um ein Drittel bis zur Hälfte zurück. So ein Problem gibt es nicht zum ersten Mal. Die deutschen Sicherheitsbehörden testeten vor einiger Zeit am Hamburger Airport Körperscanner. Wegen Unzuverlässigkeit brachen die Beamten den Versuch schließlich ab.


Wenn die Kapazität an den Kontrollstellen sinkt, müssen zusätzliche eingerichtet werden. Das stellt die Flughäfen vor große Probleme. Denn die neuen Prüfgeräte wiegen 1,6 Tonnen pro Stück und sind damit vier mal so schwer wie die bisher eingesetzten Anlagen, die das Handgepäck durchleuchten. Laut Beisel halten die Böden der Hallen mancherorts diesem Gewicht nicht Stand. Einige Flughafengebäude müssen deshalb umgebaut werden. Da die Flüssigkeitsdetektoren auch noch ein Viertel mehr Fläche benötigen als die herkömmlichen Röntgengeräte, werden wohl weitere Umbauten fällig. Der Zeitplan, so glaubt der ADV, sei nicht einzuhalten. Doch in einem Jahr gilt das neue Recht.


„Der Betroffene ist der Passagier“, warnt Beisel. Längere Wartezeiten an den Sicherheitskontrollen und noch mehr Ärger, weil die Fluggäste jedes noch so kleine Gefäß erst einmal aus dem Handgepäck holen müssen, sind vorprogrammiert. Außerdem müssen die Reisenden die Investitionen in die Sicherheitskontrollen am Ende über den Ticketpreis bezahlen. Der ADV rechnet mit Kosten von 400 bis 500 Millionen Euro, für die vor allem der für die Sicherheit zuständige Innenminister bezahlen muss. Die Behörde holt sich die Ausgaben für die Kontrollen über eine Luftsicherheitsgebühr wieder bei den Passagieren zurück.


Die Flughäfen fordern nun eine Verschiebung des Starttermins, bis eine verlässliche Technik zur Verfügung steht, die schnelle Kontrollen ermöglicht. Doch die EU will erst einmal die offiziellen Ergebnisse des europaweiten Tests abwarten.


Schon die momentan geltende Regel ist vielen Fluggästen nicht hinreichend bekannt. 100 Milliliter dürfen sie in einen Plastikbeutel verpackt mit in die Maschine nehmen. An allen deutschen Airports zusammen werden täglich trotzdem bis zu sechs Tonnen Flüssigkeiten von den Sicherheitsleuten beschlagnahmt und entsorgt. Pro Woche verlieren die Kunden so einen Warenwert von zwei Millionen Euro.

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