Schmähpreis für skrupelose Firmen
Der Public Award von Davos - Kritik an sechs Unternehmen
17. Jan. 2012 –
Hunderte Millionen Euro jährlich verdient die Barclays Bank angeblich, indem sie auf steigende Nahrungsmittelpreise spekuliert. Deshalb ist das Londoner Finanzinstitut für die Negativ-Auszeichnung als „übelstes Unternehmen des Jahres“ nominiert. Den Antipreis verleihen Kritiker Ende Januar beim Weltwirtschaftsforum in der Schweiz.
„Das meiste Geld geben wir für Nahrungsmittel aus“, sagt der lateinamerikanische Bauer in dem kurzen Video. Und fügt hinzu: „Es gibt aber auch Familien, die haben nicht genug Geld.“ Die Sequenz stammt aus dem Film „Wie Barclays den Hunger verschärft“. Entwicklungsaktivistin Amy Norton und ihre Mitstreiter werfen der viertgrößten Bank der Welt vor, skrupelose Geschäfte auf Kosten von Millionen Menschen zu betreiben. Deswegen haben sie das Finanzinstitut für den Schmähpreis Public Eye Award 2012 vorgeschlagen, über den man jetzt im Internet abstimmen kann ( www.publiceye.ch ).
„Barclays Capital ist verantwortlich für Hunger und Hungertod in Entwicklungsländern“, so Amy Horton vom World Development Movement ( www.wdm.org.uk ) in London. Barclays gehöre zu den Pionieren der Spekulation mit Agrarrohstoffen. Die funktioniert - einfach gesagt - so: Mit Barclays Hilfe kaufen Pensionsfonds und andere Investoren Wertpapiere, die auf dem Preis von Weizen, Mais, Reis oder weiteren Lebensmitteln basieren. Dass solche Geschäfte dazu beitragen können, die Preise für Grundnahrungsmittel in die Höhe zu treiben, haben Organisationen wie Foodwatch, Oxfam aber auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in mehreren Untersuchungen belegt.
Barclays sieht das anders. „Eine beträchtliche Anzahl von Studien zeigt, dass Finanzgeschäfte wenig oder keinen Einfluss auf die Preise von Agrarrohstoffen haben“, sagte eine Sprecherin der Bank. Viel wichtiger seien Wetter, Exportbeschränkungen oder die steigende Nachfrage aus Schwellenländern wie China.
Recherchen der Weltbank zufolge wurden allein im Jahr 2010 etwa 44 Millionen Menschen weltweit durch steigende Lebensmittelkosten in die extreme Armut getrieben. Das sind vor allem Einwohner asiatischer, afrikanischer und lateinamerikanischer Staaten, die aufgrund ihrer geringen Einkommen einen großen Teil des Geldes für Grundnahrungsmittel ausgeben. Die Bürger der reichen Industriestaaten trifft die Preissteigerung bei Nahrungsmitteln nicht so stark, weil diese hier nur einen kleinen Teil der Haushaltsbudgets beanspruchen.
Weil Barclays nach Recherchen des World Development Movement 2010 über 400 Millionen Euro mit Agrarspekulation verdient hat, empfiehlt Amy Horton nun: „Wählt Barclays zum übelsten Unternehmen“. Einige Tausend Teilnehmer der Internet-Abstimmung haben das schon getan. Nach dem japanischen Atomkonzern Tepco, der die havarierten Kraftwerke von Fukushima betreibt und dem südkoreanischen Elektronikunternehmen Samsung steht Barclays derzeit auf dem dritten Platz der Abstimmung.
Diese wird alljährlich ausgerichtet von der Schweizer Entwicklungsorganisation Erklärung von Bern und Greenpeace. Am letzten Freitag im Januar verleihen sie dann den Public Eye Award an das „sozial und ökologisch unverantwortlichste Unternehmen“. Die Zeremonie findet zeitgleich mit dem Weltwirtschaftsforum statt, zu dem sich tausende Spitzenmanager und Politiker im Schweizer Skiort Davos treffen.
Samsung hat die Arbeitsrechtlerin Jeong-ok Kong mit ihrem Team aus Seoul vorgeschlagen. Sie arbeitet beim Koreanischen Institut für Arbeitssicherheit und Gesundheit. Besonders berührt hat sie der Selbstmord des Samsung-Ingenieurs Kim Ju Hyun im Januar 2011. Der 26Jährige sprang aus dem 13. Stockwerk eines Firmenwohnheims in den Tod.
Kong versuchte, die Hintergründe aufzuklären: „Durch Chemikalien am Arbeitsplatz litt Kim an einer Hautkrankheit.“ Angeblich keine Seltenheit bei Samsung: Wegen teils verbotener, hochgiftiger Stoffe seien bereits 140 Arbeiter an Krebs erkrankt und mindestens 50 gestorben. Außerdem „arbeitete Kim vor seinem Suizid mehr als 12 Stunden täglich, ohne Pause am Wochenende.“ Deshalb habe der Ingenieur über längere Zeit seine Familie nicht besuchen können. Zu seinen Mitbewohnern im Wohnheim hatte er kaum Kontakt, weil diese in einem anderen Schichtrhythmus arbeiteten. „Einsamkeit und Depression“ hätten Kim zu seinem fatalen Entschluss bewogen, so Kong.
Die Verantwortung für die schlechten Arbeitsbedingungen lastet sie dem Unternehmen an. Außerdem habe der firmeneigene Sicherheitsdienst von der Selbstmordabsicht gewusst, sich aber nicht ausreichend um den Beschäftigten gekümmert. Samsung wollte keine Stellung zu den Anschuldigungen nehmen.
Der Schweizer Agrochemie-Konzern Syngenta dagegen beantwortete die Fragen ausführlich. Dem Schweizer Unternehmen werfen die Kritiker vor, „hochtoxische Produkte wie das Herbizid Paraquat und das Pestizid Atrazin herzustellen, die Menschen und Umwelt vergiften“. Eine Sprecherin des Konzerns entgegnete: „Bestehende Risiken sind vermeidbar und stehen in keinem Verhältnis zum erreichten Beitrag zur Ernährungssicherheit.“ Angesichts einer Weltbevölkerung von über sieben Milliarden Menschen seien „Pflanzenschutzmittel, neue Anbausorten, sowie Düngemittel unverzichtbare Elemente der Nahrungsmittelproduktion“.
Die ebenfalls nominierten Unternehmen Tepco und die Bergbaukonzerne Freeport McMoRan und Vale reagierten nicht auf die Anfrage. Was bringt die Preisverleihung, die seit Jahren stattfindet, überhaupt? Beispiele dafür, dass Unternehmen Missstände als Reaktion auf die Nominierung abstellten, kann Public Eye nicht nennen. Manchmal allerdings führen öffentlichkeitswirksame Kampagnen gegen Unternehmen doch zu gewissen Erfolgen. So erhöhte der taiwanesische Foxconn-Konzern 2010 die Löhne vieler Beschäftigter in China, nachdem Kritiker die Selbstmorde mehrerer Arbeiter veröffentlicht hatten.