Schritte gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln

Agrarministerin Aigner erwägt Maßnahmen, um schnellen Preisanstieg etwa bei Weizen zu bremsen. Terminbörse in Chicago setzt Handel bei Preisexplosion aus.

Teilen!

Von Hannes Koch

02. Sep. 2010 –

Die Bundesregierung erwägt Maßnahmen gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln. Dazu könnte gehören, den Preisanstieg für Weizen und andere landwirtschaftliche Produkte an den europäischen Terminbörsen zu begrenzen. Heute (Freitag, 3.9.) will CSU-Agrarministerin Ilse Aigner entsprechende Schritte präsentieren.


Anfang 2008 erreichten die Preise für Weizen, Mais und Reis Höchststände. In Ägypten, Haiti und anderen Staaten brachen Hungerunruhen los, weil sich viele Menschen ihre Nahrungsmittel nicht mehr leisten konnten. Auch in diesem Jahr steigen die Preise für manche Agrarrohstoffe wieder stark – wenn auch nicht so besorgniserregend wie vor zwei Jahren. Als eine Ursache für die Preisentwicklung betrachtet die Bundesregierung die weltweite Spekulation mit Weizen und anderen Landwirtschaftsprodukten.


„Nahrungsmittel dürfen nicht Gegenstand reiner Finanzspekulation sein“, heißt es in einem Strategiepapier des Landwirtschaftsministeriums. Beim bevorstehenden Gipfel der mächtigsten Wirtschaftsnationen (G20) in Seoul im November wollen Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Initiative starten. Eine Überlegung, die Aigners Mitarbeiter anstellen, sieht so aus: Die europäischen Terminbörsen für Agrarprodukte könnten Obergrenzen für den Preisanstieg einführen.


An der Chicagoer Terminbörse CBOT in den USA existiert eine solche Regelung bereits. Danach wird beispielsweise der Handel mit Weizen unterbrochen, wenn der Preis um mehr als 60 Cent pro Bushel (27,2 Kilogramm) im Vergleich zum Vortag zunimmt. Das soll verhindern, dass der Preis durch zu starke Spekulation oder automatisierten Computerhandel explosionsartig steigt.


„Es wäre sinnvoll, eine solche Regelung auch an europäischen Rohstoff-Börsen einzuführen, zum Beispiel am Handelsplatz Matif in Paris“, sagte Harald von Witzke, Agrarökonom der Berliner Humboldt-Universität gegenüber dieser Zeitung. An Terminbörsen bieten Landwirte, Agrarhändler und Finanzinvestoren große Mengen Getreides und anderer Landwirtschaftsprodukte an. Festgelegt werden dabei nicht nur die aktuellen Preise, sondern beispielsweise auch die Preise, zu denen Brotfabriken im kommenden Jahr das Getreide kaufen können.


Welchen Einfluss Finanzinvestoren, die nur aus Gewinninteresse mit Agrarrohstoffen handeln, auf die Preisbildung ausüben, ist allerdings umstritten. Der Beitrag der Spekulation zum gegenwärtigen Preisanstieg sei kaum zu beziffern, meint von Witzke. Auch Martin Banse ist vorsichtig. Der Experte für Agrarhandel und Berater der Bundesregierung hält den Einfluss der reinen Finanzinvestoren augenblicklich für nicht gefährlich. Carsten Fritsch, Analyst der Commerzbank, schätzt, zwei Drittel des Preisanstiegs seien auf reale Entwicklungen wie die Erntemenge zurückzuführen, etwa ein Drittel komme durch Spekulation zustande.


Fakt ist: Der Weizenpreis ist seit Ende des vergangenen Jahres um rund ein Drittel gestiegen. Mais und Reis zogen nach. Wer heute eine Tonne Weizen zum Liefertermin Mai 2011 bestellt, muss rund 220 Euro bezahlen. Das Getreide wurde vornehmlich dadurch teurer, dass die Ernte teilweise schlechter ausfiel als im vergangenen Jahr und Brände in Russland, einem wichtigen Getreideexporteur, das Angebot sinken ließen.


Info-Kasten

Tendenz nach oben

Mit langfristig stark steigenden Agrarpreisen rechnet Agrarökonom Harald von Witzke (Humboldt-Uni Berlin) – in Übereinstimmung mit vielen anderen Experten. Dafür macht er weniger die Spekulation, sondern ein im Vergleich zur Nachfrage knapperes Angebot verantwortlich. Einerseits nehme die Weltbevölkerung zu, und es würden mehr hochwertige Nahrungsmittel konsumiert. Gleichzeitig wachse der Bedarf an Biomasse für die Energieproduktion. Mit der größeren Nachfrage halte das Wachstum der Nahrungsmittelherstellung gegenwärtig aber nicht Schritt. Nötig sei deshalb die „dritte grüne Revolution“, um die Produktivität der Landwirtschaft stark zu steigern, so von Witzke.


Grafik

www.landwirtschaft-mlr.baden-wuerttemberg.de/servlet/PB//menu/1204690_l1/index.html

« Zurück | Nachrichten »