Schub für Mondlandung

Airbus baut Antriebsmodul für Artemis

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Von Björn Hartmann

16. Feb. 2023 –

Alexander Gerst wirkt locker wie immer. „Eine Reise zum Mond dauert drei Tage“, sagt der deutsche Astronaut auf dem Podium bei Airbus in Bremen. „Der Mond liegt praktisch nebenan.“ Zumindest in Raumfahrtdimensionen sind 384.400 Kilometer zum Erdtrabanten nah – wenn man das richtige Fahrzeug hat. Für die Raumfahrtbehörden der USA und Europas, Nasa und Esa, ist das das Raumschiff Orion. Gerst hofft, zu den Europäern zu gehören, die den Mond betreten dürfen. Bisher waren dort nur Amerikaner unterwegs. Bereits 2025 soll es soweit sein.

Die Zusammenarbeit ist komplex. Vier Raumfahrtagenturen unter Führung der Nasa sind am Artemis-Programm beteiligt. Benannt ist es nach der griechischen Mondgöttin. Geplant sind neben Flügen auch eine Raumstation, die um den Mond fliegt, und sogar ein Dorf auf dessen Oberfläche. Ein sehr wichtiger Teil des Programms kommt aus Deutschland: das Europäische Service Modul (ESM), das zusammen mit der Raumkapsel Orion bildet. Das ESM treibt das Raumschiff an, versorgt die Astronauten mit Luft, Wasser und Wärme, soll sie zum Mond und auch wieder zurückbringen. Sechs dieser Module soll Airbus bauen. Die Raumkapsel für die Astronauten liefern die Amerikaner.

Weil der Mond-Plan spektakulär ist, gerade wieder machbar erscheint und wesentlich mit Airbus in Bremen zu tun hat, gewährt der Luft- und Raumfahrtkonzern einen seltenen Blick in Reinraum 1 und 2 – unter strengen Sicherheitsauflagen. Also: Schutzkittel anziehen, Haarnetz befestigen, Schutzhüllen über die Schuhe ziehen und durch die kleine Tür in Reinraum 1, der tatsächlich eine riesige Halle ist. Beigefarbene Wände, heller Boden, türkisfarbene Rolltore. Angenehme Temperatur. Recht trocken. Und es riecht nach nichts.

Links die „blaue Lagune“, eine Zwischenebene aus blau gestrichenen Stahlträgern. Oben werden die matt silbernen Titantanks der Module mit kupferfarbenen Heizelemente beklebt, unten sitzen die Ingenieure an Computern. Rechts ein rundes Stahlgestell, umgeben von einem Gerüst. Dahinter steckt das Gehäuse von ESM-5, direkt aus Turin gekommen. Eine runde Konstruktion aus Karbon und Aluminiumwaben, etwa vier Meter im Durchmesser. „Sie wiegt etwas weniger als ein VW Golf“, sagt Lars Bauer, oberster Ingenieur für die ESM-Montage.

Dass dieses nackte, eher unspektakuläre Gehäuse hier einmal Teil eines Raumschiffs wird, das Menschen zum Mond bringen soll, erfordert sehr viel Phantasie. In den kommenden Monaten werden Halterungen, und Rohre eingebaut, gut zwölf Kilometer Kabel verlegt, Sensoren und Tanks eingesetzt, insgesamt mehr als 20.000 Einzelteile. geliefert von mehr als 60 Firmen aus zehn Ländern. Hauptmaterialien sind Karbonfasern, Aluminium, Stahl und Titan, alles hochrein. Das Gewicht steigt auf das von gut dreieinhalb Golfs.

Verantwortlich für den Space-Standort Bremen, für Mond und Mars bei Airbus ist Marc Steckling, offiziell Leiter Weltraumexploration. Das Komplizierteste am ESM? Steckling muss nicht lange überlegen: „Der Antrieb.“ Genauer: ein Haupt- und acht Hilfstriebwerke, dazu weitere 24, mit denen sich die Lage des Raumschiffs ändern lässt. Hier setzt Airbus auf Recycling: Die Triebwerke trieben bereits Space Shuttle an, waren mehrfach im All.

Eine Halle weiter hängt ESM-4 in einem blauen Stahlgestell, das die Dimensionen eines kleinen Reihenhauses hat. Erste Kabel sind montiert, Rohre hängen heraus. Das Gestell kann das Modul anheben und drehen, damit die Ingenieure besser daran arbeiten können. Dieses Modul wird einmal mit Artemis-IV-Mission ins All geschossen und soll dann am sogenannten Lunar Gateway andocken, einer Raumstation von Nasa und Esa, die um den Mond fliegt. Von dieser „Tür zum Mond“ aus sollen dann Astronauten regelmäßig auf den Mond reisen. Die Raumstation soll auch Startpunkt für Flüge zum Mars sein.

Begonnen hat die Zusammenarbeit von Nasa und Esa für die ESM im Mai 2011. Das erste Modul war 2018 fertig. Der Start wurde dann mehrfach verschoben, weil die Nasa Schwierigkeiten mit der neuen Rakete SLS hatte. Um größere Gewichte – das Orion-Raumschiff wiegt vollgepackt gut 22 Tonnen – Richtung Mond zu bringen, ist eine sehr große Rakete nötig. Letztlich startete Artemis I dann im Ende November 2022.

Insgesamt sechs Module baut Airbus, das erste dürfte um die eine Milliarde Euro gekostet haben, die anderen sind günstiger, weil die Entwicklungskosten nicht mehr anfallen. Knapp über 200 Millionen Euro pro Stück werden genannt, auch dank der Klein-Serienfertigung. Für drei weitere Module, ESM-7 bis -9, arbeitet Airbus gerade an einem Angebot. Und sollten weitere Antriebe nötig sein, ist Airbus der erste Ansprechpartner. Ein Wechsel des Anbieters sei sehr aufwändig, sagt Philippe Deloo, bei der Esa zuständig für das ESM-Programm.

Im Reinraum 1 nähert sich ESM-3 bereits der Fertigstellung. Das Modul hängt neben der „blauen Lagune“ in einem Stahlgestell. Von dem Gehäuse ist wegen der vielen Kabel und Rohre wenig zu sehen. Für den Laien ein einziges silbriges Wirrwarr, für den Profi alles sauber sortiert. Die Stellen, an denen später die Solarpanel angebracht werden, sind bereits rot markiert. Noch fehlen die vier Tanks mit jeweils 2100 Litern Treibstoff, die Tanks für Sauerstoff, Stickstoff und Wasser. Und auch die Triebwerke an der Unterseite fehlen noch.

Wenn alles eingebaut ist, werden die Systeme getestet, wie Chefingenieur Bauer sagt. Sollte alles laufen, wird ESM-3 von außen mit Kühlpanels verkleidet und sieht dann erstmals aus wie das Teil eines Raunschiffs – ein Zylinder mit gut vier Metern Höhe. Das Arbeitstempo hier im Reinraum ist ruhig, Genauigkeit geht vor Tempo. Deshalb dauert es auch 16 Monate, bis ein Modul fertig ist.

„Man darf Kleinigkeiten nicht als Kleinigkeiten abtun“, sagt Bauer. Was am Boden nichtig wirkt, kann im All schnell lebensbedrohlich werden. Deshalb stehen hier überall kleine silberne Kästen mit einer Art Tentakel, die Luftfeuchtigkeit, Raumtemperatur und Partikelkonzentration messen. Und deshalb untersuchen sie jetzt auch einen Fehler genauer, der bei der Artemis-I-Mission auftrat und als unkritisch eingestuft ist. Das Modul hat in bestimmten Situationen den Strom ausgeschaltet – kein Problem, wenn Astronauten an Bord sind, die wieder anschalten können. „Dennoch wollen wir verstehen, was passiert und warum“, sagt Esa-Spezialist Deloo.

Artemis I war der Test für die bemannte Mondmission. Nasa und Esa schickten drei mit Sensoren vollgestopfte Puppen ins All, im Raumschiff den Mond umrundeten. Gesteuert wurde von der Erde aus. Die Ingenieure flogen Manöver, testeten die Möglichkeiten des Raumschiffs. Sehr erfolgreich, offenbar. „Wir hatten mit mehr negativen Überraschungen gerechnet“, sagte Deloo. Stattdessen gab es positive: So brauchte Orion nur gut drei Viertel des Treibstoffs, benötigte weniger Strom und erzeugte über die Solarpanels mehr Energie als gedacht.

ESM-3 soll in der zweiten Jahreshälfte in die USA geschickt werden. Im Kennedy Space Center der Nasa in Florida, werden die Solarpanels angebracht und das Modul noch einmal intensiv durchgeprüft, bevor es über ein Adapter mit der Raumkapsel, beide vom US-Konzern Lockheed,  zum Orion-Raumschiff verbunden wird. 2025 soll es Astronauten bei Artemis III von Cape Canaveral Richtung Mond bringen. Sie sollen dann auch dort landen – erstmals seit 1972. Vorher ist noch eine bemannte Mondumrundung geplant: Artemis II im kommenden Jahr. Das dafür nötige ESM-2 aus Bremen wird bereits seit Oktober 2021 in den USA getestet.

Während die Raumkapsel immer wieder eingesetzt wird, kommt kein ESM zur Erde zurück. „Dass es verglüht, ist schade, weil so viel Arbeit drinsteckt“, sagt Steckling. „Das Modul vor der Hitze von 2500 Grad beim Eintritt in die Atmosphäre zu schützen und es so wiederverwendbar zu machen, ist aber sehr teuer und deshalb nicht sinnvoll.“ Der Esa-Verantwortliche Deloo formuliert es etwas anders: „Es ist doch besser, als erfolgreicher Rockstar auf der Bühne zu sterben als nach einem langweiligen Leben unbekannt.“

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