• DIW-Ökonom Alexander Kritikos |Foto: DIW
    DIW-Ökonom Alexander Kritikos |Foto: DIW

„Selbst leitende Ärzte werden nach Parteibuch eingestellt“

Anlässlich der neuen Griechenland-Verhandlungen sagt Ökonom Alexander Kritikos, der Mittelmeerstaat leide noch immer unter Bürokratie und Vetternwirtschaft

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Von Hannes Koch

13. Apr. 2016 –

Hannes Koch: Seit sieben Jahren treiben uns die Schwierigkeiten in Griechenland um. Nun sagen Sie, die Katharsis, die Lösung in diesem Drama, sei immer noch nicht erreicht. Gab es keine Fortschritte?

 

Alexander Kritikos: Keine der griechischen Regierungen der vergangenen Jahre hat eine Strategie verfolgt, die zu umfassender Besserung führte. Eine solche müsste drei Komponenten enthalten: ein effizienteres Staatswesen aufbauen, die öffentlichen Haushalte in die Balance bringen und die Bedingungen für die Unternehmen verbessern. In der Regel setzten bislang die letzten Regierungen jedoch nur das um, was ihrer eigenen Klientel am wenigsten schadete, beispielsweise den Angestellten im Staatssektor oder den herrschenden Firmen.

 

Koch: Haben die Regierungen kein Interesse daran, aus der Krise herauszukommen?

 

Kritikos: Ich habe den Eindruck, dass den herrschenden Politikern nicht am Wohl des gesamten Landes gelegen ist – auch der gegenwärtigen Syriza-Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras nicht. Er betreibt ebenfalls Vetternwirtschaft. Viele Neueinstellungen beim Staat erfolgen nach Parteibuch, selbst an Universitäten und Forschungsinstituten.

 

Koch: Wissenschaftler werden nur dann eingestellt, wenn sie der Partei nahestehen?

 

Kritikos: Selbst bei Ärzten ist das so, wenn es um leitende Positionen geht. Der frühere Ministerpräsident Lucas Papademos schaffte diese Praxis 2011 ab. Tsipras führt sie nun wieder ein. Was mir aber noch schlimmer erscheint: Jegliche Lösung sieht der gegenwärtige Regierungschef in der Stärkung des Staates, der Privatwirtschaft steht er feindlich gegenüber. Diese Haltung kommt zum Beispiel zum Ausdruck in ständigen Änderungen der Steuergesetze. Viele Unternehmen leiden unter der mangelnden Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen.

 

Koch: Gibt es inzwischen ein Kataster, damit die Regierung den Immobilienbesitz erfassen und besteuern kann?

 

Kritikos: Immerhin wurde der Grundbesitz registriert. Ein elektronisches Kataster existiert aber noch nicht. Die Langsamkeit regiert.

 

Koch: Sehen Sie positive Entwicklungen in der Wirtschaft?

 

Kritikos: Die exportorientierten Unternehmen sind am besten durch die Krise gekommen, etwa in der Informationstechnologie, der Speicherung von Energie, der Arzneimittel- und Agrarproduktion. Außerdem ist in Athen inzwischen eine richtige Gründungskultur zu spüren. Junge Leute machen sich selbstständig, weil sie aus den alten Bahnen ausbrechen wollen. Zahlreiche Gründer gehen jedoch ins Ausland, sobald sie sich etabliert und unangenehme Erfahrungen mit der Bürokratie gemacht haben – nach Deutschland, England, Belgien, Österreich oder in die USA.

 

Koch: Haben vor allem die griechischen Regierungen eine falsche Politik gemacht oder auch die europäischen Institutionen?

 

Kritikos: Die einheimischen Politiker tragen den größten Teil der Verantwortung. Allerdings muss man der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) ankreiden, dass sie mit den griechischen Partnern oft im Kommandoton geredet haben. Das führte zu Abwehrreaktionen. Außerdem verfolgte auch die Troika keinen ausbalancierten Ansatz. Die Betonung lag zu sehr auf der Sanierung der Staatshaushalte, zu wenig auf den Strukturreformen.

 

Koch: Entgegen den Annahmen der Troika ist die Schuldenlast Griechenlands nicht gesunken, sondern stark gestiegen. Raten Sie zu einem Schuldenschnitt, den der IWF verlangt, Bundeskanzlerin Angela Merkel jedoch ablehnt?

 

Kritikos: In diesem Sommer muss Griechenland vier Milliarden Euro Kredite zurückzahlen. Das schafft die Regierung nur, wenn ein weiterer Teil der bereits zugesagten Hilfskredite freigegeben wird. Es geht also um eine Umschuldung. Die nächste Rückzahlung ist dann erst 2022 fällig. Bis dahin sollte genug Zeit sein, um einen neuen Ansatz auszuhandeln: Erleichterungen beim Schuldendienst gegen Struktur- und Staatsreformen.

 

Koch: Wird die gegenwärtige Regierung dazu bereit sein?

 

Kritikos: Nein, das glaube ich nicht. Ich erwarte bald Neuwahlen. Vielleicht ist der neue Vorsitzende der Partei Nea Demokratia, Kyriakos Mitsotakis, in der Lage, Veränderungen auf den Weg zu bringen.

 

Bio-Kasten

Alexander Kritikos wurde als Kind einer griechisch-deutschen Familie 1965 in München geboren. Er arbeitet als Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und ist Professor an der Universität Potsdam.

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