„Staatliche Macht gegen den Wahnsinn des Marktes“

Griechenland ist nicht pleite, sagt Heiner Flassbeck, der Chefökonom der UN-Handelsorganisation Unctad. Wenn die Euro-Staaten schnell Hilfe gewährten, sei die Krise noch zu beherrschen

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Von Hannes Koch

29. Apr. 2010 –

Hannes Koch: Herr Flassbeck, ist Griechenland fast bankrott oder schon komplett pleite?


Heiner Flassbeck: Weder das Eine, noch das Andere. In Ländern wie Griechenland und Deutschland stehen den Schulden riesige Vermögenswerte gegenüber. Schon deshalb ist dieses ganze Gerede vom Staatsbankrott kompletter und gefährlicher Blödsinn.


Koch: Die Investoren auf den Finanzmärkten verlangen bis zu 16 Prozent Zinsen, wenn sie Griechenland Geld leihen. Der Finanzminister hat erklärt, keine Staatspapiere mehr verkaufen zu können. Ist die Situation nicht beängstigend?


Flassbeck: Doch, Griechenland ist zum Spielball der Spekulanten geworden. Den Teufelskreis aus steigenden Zinsen für griechische Anleihen und wachsender Panik müssen und können die Regierungen in Europa aber unterbrechen.


Koch: Der griechische Staat ist massiv verschuldet. Ist es nicht verfehlt, den Finanzinvestoren die alleinige Verantwortung für die Krise anzulasten?


Flassbeck: Siehe oben. Die eigentliche Ursache dieser Verwerfungen aber liegt tiefer. Griechenland und der Rest Südeuropas haben so hohe Schulden, weil sie zu wenig konkurrenzfähig sind. Das ist nicht nur deren Schuld, sondern auch Deutschland hat dazu erheblich beigetragen, indem es Lohndumping auf den internationalen Märkten betrieb.


Koch: Trotzdem müssen die Regierungen jetzt auf eine konkrete Situation reagieren, die sehr bedrohlich ist. Wie geht es weiter - halten Sie es für möglich, dass die Griechen die Nerven verlieren, ihre Sparkonten räumen, die Banken zusammenbrechen, und wir auch in Deutschland vor der nächsten Bankenkrise stehen?


Flassbeck: Diese Gefahr kann man nicht ignorieren. Aber wir sind ihr nicht hilflos ausgeliefert. Die Regierungen des Euro-Raumes haben genug Macht, gegen den Wahnsinn des Marktes vorzugehen und die Angst der Privatanleger zu zerstreuen. Glücklicherweise scheinen jetzt auch die Letzten in Berlin zu erkennen, dass Europa schlicht und einfach mit Kapital eine Überbrückung bieten muss.


Koch: Hat Deutschland die Hilfe zu lange blockiert?


Flassbeck: Nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel hat man den richtigen Zeitpunkt zum Eingreifen verpasst. Schon vor einem Jahr hätte die große Koalition aus Union und SPD begreifen müssen, dass eine Euro-Anleihe zu niedrigen Zinsen aufgelegt wird. Das hätte die jetzige Krise verhindert, weil es die Abhängigkeit Griechenlands und anderer Defizitländer von den privaten Kapitalmärkten verringert hätte.


Koch: Vor allem die SPD, Linke und die Grünen fordern nun, nicht nur Staatshilfen zu gewähren, sondern auch die privaten Banken einen Teil der Verluste aufzubürden. Richtig?


Flassbeck: Das ist Quatsch. Viele Banken sind immer noch selbst gefährdet, andere zocken mit. Hier geht es darum, den Markt in seine Schranken zu verweisen - dazu holt man ihn nicht ins Boot.

 

Koch: Wieso sind Sie so milde gegenüber den Privatinstituten?


Flassbeck: Das hat nichts mit Milde zu tun. Ich sage: Hier gibt es keine Verluste abzuschreiben. Griechenland bedient seine Staatsanleihen und zahlt die Zinsen. Das Land ist nicht zahlungsunfähig. Damit das so bleibt, braucht es ein paar Milliarden Euro auf dem Umweg, dass andere Regierungen den Engpass am Kapitalmarkt überbrücken. Dann ist der Spuk der so genannten Schuldenkrise sofort vorbei. Für ganz Europa wird dabei kein Cent mehr an Staatsverschuldung entstehen. Es handelt sich um Kredite, nicht Geschenke.


Koch: Wenn die akute Krise überwunden sein sollte – was wäre dann wirtschaftspolitisch zu tun?


Flassbeck: Deutschland muss darauf verzichten, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft weiter auf Kosten anderer Nationen zu steigern. Konkret bedeutet das: In Deutschland sollten die Löhne der Beschäftigten stärker zunehmen. Deutschland würde selbst dann für lange Zeit seine Marktanteile halten. Deutsche Waren würden aber allmählich relativ teurer und die anderen billiger. Der Export der Mittelmeerländer nähme zu, ihre Einnahmen stiegen, die Verschuldung sänke.


Koch: Löhne vereinbaren hierzulande die Tarifpartner. Wie soll die Bundesregierung dabei Einfluss ausüben?


Flassbeck: Umgekehrt wie sie es seit 1996 tut. Man kann aufhören, den Niedriglohnsektor zu fördern, die Zeitarbeit auszuweiten und den Druck auf Hartz-IV-Empfänger zu erhöhen. Das alles würde die Machtposition der Gewerkschaften in ihren Lohnverhandlungen mit den Arbeitgebern normalisieren.


Heiner Flassbeck (59) arbeitet bei der Handelskonferenz der Vereinten Nationen in Genf. Zuvor war er in der rot-grünen Bundesregierung ab 1998 Staatssekretär unter Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine (SPD), davor Wissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

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