Start ins All auf Shetland

Im hohen Norden entsteht gerade ein Spaceport

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Von Björn Hartmann

12. Aug. 2023 –

Wer es bis hier schafft, will wirklich her. Von Augsburg aus zum Beispiel sind es 1572 Kilometer Luftlinie. Oder eine Fahrt zum Flughafen München, per Flugzeug mit ein- oder zweimal Umsteigen nach Sumburgh, eine weitere Autofahrt mit zwei Fähren. Zum Schluss eine Straße so breit wie der Wagen, scharfe Kurven, steile Hänge, Schafe, Schlaglöcher. Aber dann geht der Blick weit über Lamba Ness, jene Landzunge auf Unst im äußersten Norden der Shetland Inseln, von der aus deutsche Raketenbauer bald ins All starten wollen.

Die Rocket Factory Augsburg jedenfalls will hier ihre erste Rakete zünden. Und HyImpuls aus Neuendorf in Baden-Württemberg setzt ebenfalls auf den Saxavord Spaceport. Beide Unternehmen arbeiten an sogenannten Microlaunchern, kleineren Raketen, die industriell gefertigt werden und deshalb günstig sind. Sie sollen im Wochentakt in Masse gefertigte Satelliten ins All bringen, meist in den Low Earth Orbit (LEO) in 500 Kilometern Höhe.

Beide Firmen gehören wie auch Raketenbauer Isar Aerospace aus Ottobrunn bei München zum New Space, wie das kommerzielle, industrialisierte Geschäft im All heißt, das vor allem von privaten Investitionen lebt. Die Satelliten können dann im All zu Konstellationen zusammengeschaltet werden und zum Beispiel Internet für die Erde bieten wie etwa Starlink des US-Milliardärs Elon Musk. Solche Konstellationen sind aber auch interessant für satellitengesteuerte Landwirtschaft oder autonomes Fahren. Der Markt insgesamt ist riesig, die Beraterfirma Euroconsult schätzt ihn für 2022 auf 386 Milliarden Euro. 2031 sollen es 671 Milliarden Euro sein.

Die Raketen sind mit um die 30 Metern Höhe und etwa zwei Metern Durchmesser deutlich kleiner als etwa die europäische Ariane 5 mit 55 Metern Höhe und 5,4 Metern Durchmesser. Die Satelliten bewegen sich meist auf einer Bahn von Pol zu Pol um die Erde, die sich unter der Flugbahn hindurchdreht. Aufwendige Starts, bei denen die Erdrotation zusätzlichen Schub gibt, wie etwa beim letzten Start der Ariane 5 vom Weltraumbahnhof in Kourou nahe dem Äquator, sind nicht nötig. Entsprechend ein paar Nummern kleiner ist der Spaceport auf Unst.

Was jetzt am nördlichen Ende Großbritanniens den Start ins All ermöglichen soll, gehörte Jahrzehnte der britischen Luftwaffe RAF. Vor gut 15 Jahren kaufte das Ehepaar Debbie und Frank Strang das Gelände auf der Insel Unst und die dazu gehörenden Gebäude unten im Örtchen Valsgard. Sie planten ein Ferienresort, abgeschieden, gute Luft, jede Menge Seevögel in den Klippen, ein Paradies für Wanderer. Dann allerdings kam die Idee mit dem All. „Als wir begannen, wussten wir etwas über Luftabwehr und Luftraum, aber wir wussten nichts über die Weltraumindustrie und hatten tatsächlich keine Ahnung, auf was wir uns einlassen“, sagt Strang heute. „Die Leute dachten, wir sind verrückt. Man konnte es in ihren Augen sehen.“

Nun gelten die Briten als leicht verrücktes Volk, und Schotten wie Strang sind vielleicht noch einen Tick verrückter. Aber sie sind auch geschäftstüchtig. „Wegen des Standorts, der Mathematik und der Physik des Ganzen haben Raketenbauer uns immer wieder gesagt: Wenn Ihr das baut, kommen wir“, sagt Strang. Wer könnte da widerstehen? Er ging es dennoch vorsichtig an: „Als wir unsere Pläne dem Shetland Council erstmals vorstellten, begann ich die Präsentation mit den Worten: Das ist kein Aprilscherz.“

Unst jedenfalls hat enorme Vorteile als Startort: sehr viel Meer – sollte eine Rakete explodieren sind keine Menschen gefährdet. Nach Norden kommt bis zum Pol praktisch nichts mehr. Im Luftraum sind fast keine Flugzeuge unterwegs. Und auf der Insel leben nur 700 Menschen, die meisten im Süden. Trotzdem könnte einem angesichts der Konkurrenz etwas bange werden. Allein vier Konkurrenzstandorte in Schottland gibt es, die nicht ganz so abgelegen sind wie Unst. In Cornwall an der Südwestspitze Englands sollen auch Raketen starten. Wales plant ebenfalls einen Spaceport. Und dann sind da Startplätze in Europa: Kiruna in Schweden und Andøya in Norwegen, beide deutlich nördlich des Polarkreises. Und auch die Deutschen wollen mitmischen: Raketen sollen von einem Schiff aus im äußersten Zipfel der ausschließlichen Wirtschaftszone starten – mitten in der Nordsee.

Noch sieht es auf Lamba Ness wenig nach Start aus. Es wird vor allem gebaut. So haben sie die Straße zum Teil erweitert, die Zahl der Schlaglöcher verringert. Vor dem Gelände warnt ein Schild Unbefugte: „Alle Aliens werden der Raumpolizei gemeldet und auf den Mars transportiert“, steht da. Darüber kreisen Möwen. Ein Schaf blökt. Auf der Landzunge recken sich gerade die weißen Streben von Hangar A in den an diesem Tag sehr blauen Himmel über der Insel. „Akropolis“ haben sie den Bau nach dem Tempel hoch über Athen getauft. Im Hangar sollen einmal jene Raketen montiert werden, die dann nebenan abheben sollen.

Dort steht bereits eine gut 15 Meter hohe rechteckige Konstruktion, das erste von drei Startfeldern: Fredo, benannt nach dem verstorbenen Sohn des Saxavord-Großaktionärs Anders Povlsen. Er ist Milliardär und reichster Däne, der aus dem kleinen Modeunternehmen Bestseller (Vero Moda, Jack&Jones) einen internationalen Konzern gemacht hat. Beteiligt ist er unter anderem am deutschen Modeonlinehändler Zalando. Außerdem gehört Povlsen als Großgrundbesitzer ein ordentliches Stück Schottland.

Rund 50 Millionen Pfund (58 Millionen Euro) steckt Saxavord in den Spaceport. Das Geld stammt von Povlsen und zahlreichen anderen Investoren. Andere von der Idee zu überzeugen, war schwer, wie Firmenchef Strang sagt. „Denn in den Augen vieler kannst Du kein echtes Projekt sein, wenn Du kein staatliches Geld bekommst.“ Etwas ist inzwischen geflossen. Und auch die britische Raumfahrtagentur setzt für Starts auf Unst.

Aber wie kommen die Raketen hierher? Unst hat keinen nennenswerten Hafen. Die Raketen reisen – zerlegt – im Standardcontainer per Schiff nach Lerwick, Hauptstadt von Shetland. Dann werden sie auf Lastwagen verladen nehmen die Straße und die beiden Fähren und kurven die Straße zum Startplatz hoch. „Sehr einfach“, sagt ein Firmensprecher.

Hinter der Baustelle wächst Gras in der Mitte der Straße. Wer weiter fährt (Achtung, träge Schafe auf der Fahrbahn!), kommt nach Skaw, das sich durch das nördlichste bewohnte Haus Großbritanniens auszeichnet, durch sehr viel Stille und einen feinen Sandstrand mit Blick auf die Startrampe Fredo oben auf Lamba Ness.

Noch fehlt den Strangs eine Spaceport-Lizenz der CAA. Die zivile Luftfahrtbehörde hat allerdings schon deutlich geäußert, dass es damit etwas werden kann. 30 Starts pro Jahr sind geplant, es können aber auch 50 werden. Das Unternehmen rechnet im September oder Oktober mit der Lizenz. Und dann soll es schnell gehen: Erst HyImpuls, dann RFA. Für die Schafe könnte es dann ziemlich laut werden.

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