Sternchen für den Tierschutz

Zum Start der Internationalen Grünen Woche kommt ein neues Tierschutzlabel in den Handel / Bei Lebensmitteln immer noch wenig Wahrheit auf der Verpackung

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Von Wolfgang Mulke

16. Jan. 2013 –

 Verbraucher können beim Einkauf künftig schnell erkennen, ob Fleisch aus artgerechter Tierhaltung stammt. Der Deutsche Tierschutzbund hat ein Gütesiegel entwickelt, das zunächst die Haltung von Schweinen und Hühnern kennzeichnet. Ein Sternchen steht für eine etwas bessere Haltung der Tiere, zwei für einen artgerechten Umgang damit. „Mit dem Tierschutzlabel wird sofort Millionen von Tieren geholfen“, glaubt der Präsident des Tierschutzbundes, Thomas Schröder. Zum Start nehmen Betriebe mit neun Millionen Hühnern und 20.000 Schweinen teil. Das ist zum Beispiel an den insgesamt 110 Millionen Hähnchen in Deutschland noch wenig. „Jetzt ist die Frage, ob er Verbraucher mitmacht“, sagt Schröder.


Theoretisch ist das der Fall, wie aus einer Umfrage des Bundesverbraucherministeriums hervorgeht. Neun von zehn Befragten gaben an, dass ihnen eine artgerechte Haltung beim Fleisch wichtig ist. An zweiter Stelle steht die regionale Herkunft, auf die zwei Drittel der Verbraucher wert legen. Der Preis des Fleisches ist erst das drittwichtigste Kriterium beim Kauf von Würsten und Steaks. „Immer mehr Verbraucher wollen höhere Standards und mehr Informationen über Lebensmittel“, sagt Verbraucherministerin Ilse Aigner, die die Entwicklung des Siegels finanziert hat.


Das Label ist allerdings umstritten. Biobauern halten es für irreführend. „Es gibt nur einen Weg der artgerechten Haltung“, betont Jan Plagge vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Die Tiere müssten in Kontakt mit Luft und Sonne kommen sowie Auslaufplatz haben. Dieses Kriterium sieht die erste Stufe des Siegels nicht vor. Nur bei zwei Sternchen ist die artgerechte Haltung gewährleistet.


Ganz anders stellt sich der Tierschutz aus Sicht der konventionellen Landwirte dar. Sie müssten viel in neue Stallanlagen oder Auslaufflächen investieren. Doch noch ist unsicher, ob die Kunden im Supermarkt dann auch zur Zahlung höherer Preise bereit sind. Je nachdem, wie hoch die Standards gesetzt werden, könnte Fleisch zwischen zehn und 30 Prozent teurer werden. Der Deutsche Bauernverband (DBV) befürchtet Ausweichkäufe durch Handel und Verarbeiter. Sie könnten Schweine oder Geflügel in Nachbarländern kaufen, die es mit dem Tierschutz nicht so genau nehmen. Deshalb laufen derzeit Gespräche zwischen den drei Beteiligten, um diese Sorge auszuräumen. „Uns ist klar“, sagt DBV-Chef Joachim Rukwied, „dass wir mit unserer Tierhaltung die Akzeptanz der Gesellschaft behalten müssen.“


Neben dem Tierschutz steht auf der Grünen Woche die Ernährungswirtschaft im Mittelpunkt. Die Lebensmittelindustrie rechnet mit steigenden Rohstoffpreisen. Wie viel der Kunde im Supermarkt am Ende mehr bezahlen muss, lässt der Verband offen. Im vergangenen Jahr stiegen die Preise für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke um 3,1 Prozent. In den letzten Wochen haben sich die Nahrungsmittel noch einmal deutlich verteuert.


Die Industrie steht auch in der öffentlichen Kritik. Das Internetportal Lebensmittelklarheit.de hat sich zur Anlaufstelle getäuschter Käufer entwickelt. Seitdem es vor 18 Monaten freigeschaltet wurde, meldeten Verbraucher dort 6.600 Produkte, durch deren Aufmachung und Kennzeichnung sie sich getäuscht fühlten. Angesichts der insgesamt 160.000 Produkte der Nahrungsmittelindustrie ist der Anteil zwar gering. Doch sieht der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) neuerlichen Regelungsbedarf. „Wir brauchen ein Klarheitsgebot bei der Kennzeichnung von Fleisch und Wurst“, fordert vzbv-Vorstand Gerd Billen. Typische Fälle sprechen dafür. Kalbs- oder Geflügelwurst enthält oft auch anderes Fleisch. Getrickst wird weiter auch bei den Bildern auf der Verpackung. Wo frische Früchte gezeigt werden, ist mitunter nur Aroma davon drin. Auch hier verlangt Billen mehr verordnete Ehrlichkeit. Wegen des großen Andrangs wird das vom Verbraucherministerium finanziert Portal wahrscheinlich weiter betrieben. Die Wirtschaft reagiert auch auf die Kritik. Jede dritte Meldung führte zu einer Verbesserung bei der Aufmachung.




Kasten Grüne Woche


An diesem Freitag wird die Grüne Woche in Berlin eröffnet. Die Leistungsschau der Ernährungswirtschaft verzeichnet die höchste internationale Beteiligung seit ihrer Gründung 1926. 1.630 Aussteller aus 67 Ländern präsentieren ihre Produkte und Spezialitäten. Dazu diskutieren 80 Agrarminister die Probleme der Welternährung. Die Ausrichter erwarten rund 400.000 Besucher in den Messehallen unter dem Funkturm. Die Schau dauert bis zum 27. Januar und ist täglich von 10 Uhr bis 18 Uhr, am Wochenende bis 20 Uhr geöffnet. Die Tageskarte kostet 13 Euro.


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