Stromkosten-Rabatt dank Lohndumping

Wenn Schlachtereien Billiglöhne zahlen, profitieren sie doppelt: Sie sparen Lohn und bekommen einen Rabatt bei der Ökostromumlage - zu Lasten der Verbraucher. Ein Gewerkschafter sagt: „Das ist pervers.“ Am Mittwoch will die EU-Kommission einschreiten. Der

Teilen!

Von Hanna Gersmann

16. Dez. 2013 –

Auf den ersten Blick hat beides nichts miteinander zu tun. Großschlachtereien wie Vion verabschieden sich von fest angestellten Facharbeitern, heuern Leiharbeiter und Arbeitskräfte über Werkverträge an, die für wenig Geld Rinderhälften zersägen. Und: Die Energiewende kostet Milliarden. Dafür zahlen alle Stromverbraucher. Für die Industrie gibt es aber Ausnahmen, um Jobs zu sichern.

 

Nur: Mit den Ausnahmeregeln gibt der Staat Anreize für die Billiglöhne. Matthias Brümmer von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten: „Wir belohnen es, die Stammbelegschaft zu entlassen. Das ist pervers.“

Hintergrund: Am Anfang ging es bei den Ausnahmen um stromintensive Industrien wie Stahl und Aluminium. Doch die Regeln wurden immer wieder gelockert. 2014 werden mehr als 2700 einzelne Betriebe, „sogenannte Abnahmestellen“, von der Ökostromumlage befreit, in diesem Jahr waren es noch 2300.

Die Industrie darf sich vor den Kosten drücken. Der Mechanismus, der leicht zu Lasten des Personals geht, steht seit dem Jahr 2003 im Erneuerbaren Energien Gesetz: Steigen die Stromkosten auf mehr als 14 Prozent der Bruttowertschöpfung, darf ein Unternehmer eine Entlastung beantragen.

Das geht so: Ein Schlachter rechnet von seinem Umsatz die Ausgaben für Messer, Salz und so fort runter. Das ist seine Bruttowertschöpfung. Die Kosten für seine Stammbelegschaft darf er dabei nicht abziehen. Die für Werkverträge oder Leiharbeiter aber schon. Diese mindern die Bruttowertschöpfung, die Stromkosten schlagen dann vergleichsweise stark zu Buche. Das Unternehmen gilt eher als stromintensiv, wenn es wenig feste Angestellte hat.

Schlachtereien von Vion oder Wiesenhof gelten immer häufiger als stromintensiv. Im Jahr 2008 sparte die Branche insgesamt 719.000 Euro, drei Jahre später waren es schon 27 Millionen Euro. Das erklärte die Bundesregierung im Juni auf eine kleine Anfrage der Grünen.

Die Ökonomen des Thünen-Instituts für Marktanalyse in Braunschweig haben die Schlachtereiene erst vor kurzem untersucht. Sie erklärten, es sei „auffällig“, dass hierzulande „überdurchschnittlich“ viele Leiharbeiter eingesetzt würden. Die Branche zahle ihren Arbeitskräften in Deutschland 17 % weniger als in Frankreich und 42 % weniger als in Dänemark.

Die Unternehmer unterschrieben aber nicht extra Leiharbeit und Werkverträge, um den Ökostromrabatt zu kassieren – das ist „auszuschließen“, sagt Heike Harstick, Geschäftsführerin des Verbandes der Fleischwirtschaft. Die Regierung habe einfach den Kreis der Begünstigten ausgeweitet.

Tatsächlich ist nicht allein der Stromkostenanteil an der Bruttowertschöpfung das Kriterium dafür, ob ein Unternehmer von der Ökostromumlage entlastet wird. Entscheidend ist auch die Höhe des Stromverbrauchs an sich. Seit 2013 muss es mindestens eine Gigawattstunde pro Jahr sein. Früher waren es zehn Gigawattstunden.

Die SPD hatte vor der Wahl noch die Zahl der Ausnahmen senken. Im Koalitionsvertrag liest sich das nun vage: Es soll eine „Konzentration der Besonderen Ausgleichsregelung auf stromintensive Unternehmen.“ geben.

Der grüne Energieexperte Oliver Krischer fordert: „Die Praxis, dass die Kosten für Leiharbeit bei der Befreiung von der EEG-Umlage anders behandelt werden als die für regulär Beschäftigte gehört abgeschafft.“

Den größten Druck macht jedoch die EU-Kommission. Diesen Mittwoch wird sie voraussichtlich ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland eröffnen: Dass Großverbraucher bevorzugt werden, benachteilige ausländische Anbieter. Am Ende könnten die Rabatte verboten werden. Für SPD-Energieminister Sigmar Gabriel ist das der erste Brocken.

 

Kasten: Der Verbraucher zahlt

Die hiesige Industrie sparte allein im Jahr 2013 knapp fünf Milliarden Euro, weil ihr Rabatte bei der Ökostromumlage gewährt wurden. Das rechnet Tina Löffelsend vor. Sie ist die Energieexpertin des Umweltverbandes BUND. 2014 seien es sogar sieben Milliarden. Eigentlich kommt auf jede Stromrechnung eine Ökostromumlage drauf. So soll jeder zur Finanzierung der Energiewende herangezogen werden. Werden einzelne Betriebe entlastet, müssen Privatleute aber immer stärker ran. Sie subventionieren also mit einem wesentlichen Teil ihrer Ökoumlage die Industrie. Im Jahr 2013 schlage das bei einem Durchschnittshaushalt - 3500 Kilowattstunden Stromverbrauch – mit 51, 80 Euro zu Buche, sagt Löffelsend und fordert: „Die Regierung muss endlich handeln, denn die Belastung steigt weiter.“ Im nächsten Jahr kämen nochmal zehn Euro extra drauf.



Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle listet auf, wer nicht die volle EEG-Umlage zahlt: www.bafa.de/bafa/de/energie/besondere_ausgleichsregelung_eeg/publikationen/statistische_auswertungen/index.html



DruckfähigeGrafiken

http://www.bund.net/presse/bild_und_ton/aktionen_und_projekte/#c77906



« Zurück | Nachrichten »